Taiwan heute, 16. Jg. Nr. 3, Mai/Juni 2003
 
     
 

Die verborgenen Gefahren für das Palastmuseum
Mit Einfallsreichtum und viel gesundem Menschenverstand beschützen die Kuratoren und Restauratoren des Nationalen Palastmuseums Taipeh die Sammlungen vor den Gefahren bei Transport, Erdbeben, Luftverschmutzung, Feuchtigkeit und Insekten.
von Jeffrey Moser
Fotos: CHANG Su-ching

[Bild] Die empfindlichen, Jahrhunderte alten Kunstobjekte werden von den Restauratoren des Nationalen Palastmuseums Taipeh genau auf Anzeichen von Verfall kontrolliert.

Wenn das Thema Museumssicherheit angesprochen wird, denkt der durchschnittliche Zuhörer -- vor allem wenn er zu viele Hollywoodstreifen mit Rififi-Juwelendiebstählen und Hightech-Schnickschnack à la Mission Impossible gesehen hat -- an Laserstrahlen und winzige Sensoren, welche die feinsten Veränderungen der Raumtemperatur durch menschliche Eindringlinge registrieren. Doch in einem Gespräch mit Beamten des Nationalen Palastmuseums Taipeh vor kurzer Zeit wurde mir klar, dass die Wahrheit oft viel prosaischer ist. Diebstahl ist nur eine von vielen Gefahren für eine Museumssammlung (wenn auch angesichts der Plünderungen im Nationalmuseum Bagdad eine nicht zu unterschätzende Gefahr). Die anderen Bedrohungen sind zwar sicherlich weniger spektakulär, aber in vielerlei Hinsicht viel unheimlicher.

In dem halben Jahrhundert seit dem Transport der Sammlung nach Taiwan ist nichts geklaut worden, und nach den Worten der Museumsbeamten hat es noch nicht einmal jemand versucht.

Das war nicht immer so.

Jahrhundertelang bezogen die Kaiser, ihre Familien, Hofschranzen und Beamten -- welche die kaiserliche Kunstsammlung aufbauten, die nun den Kern der Sammlung im Nationalen Palastmuseum bildet -- ihre Einkünfte aus der Besteuerung der Bauern, gegen Ende der Kaiserzeit mehrere hundert Millionen Menschen. Zusammen mit unterschiedlichen Zöllen, staatlichen Monopolen für Schlüsselprodukte wie Salz sowie anderen Einnahmequellen konnten Chinas kaiserliche Herren eine riesige Sammlung von Gemälden, Porzellan und anderen Kunstobjekten anhäufen.

Am 12. Februar 1912 dankte Pu Yi, der letzte Kaiser der Qing-Dynastie (1644-1911), ab, bzw. wurde abgedankt, denn zu jenem Zeitpunkt war der Monarch ein Knirps von sechs Jahren. Er durfte jedoch mit seinem Gefolge aus Dienern und Wachpersonal noch in der Verbotenen Stadt bleiben, wo er weiterhin mit allem zeremoniellen Gepränge als Kaiser ohne Kaiserreich "herrschte". Ohne die traditionellen Einkommenquellen, mit vergleichsweise mageren Zuwendungen von der Republikregierung, begannen die vergessenen Bewohner der Verbotenen Stadt, Schätze aus der Kaiserlichen Sammlung zu verkaufen. Die verbliebenen Aufzeichnungen liefern zwar keine absoluten Zahlen über die in den Schattenjahren 1912 bis 1925 heimlich, still und leise aus dem Palast geschleusten Objekte, doch anscheinend hatte so ziemlich jeder im Palast klebrige Finger. 1921 ließ der entthronte Kaiser in dem Bemühen, fehlende Kunstgegenstände aufzufinden, eine Inventur durchführen. Das Ergebnis ließ den Schluss auf Diebstähle im großen Stil zu und erschütterte den Palast. 1923 legten einige der Schuldigen Feuer, um das Ausmaß ihrer Verbrechen zu verdecken. Der Brand tobte durch mehrere Palastgebäude und vernichtete laut Palastaufzeichnungen 6643 Objekte.

Ein Jahrzehnt später kam der Verdacht über einen Diebstahl ganz anderer Art auf. Diesmal war niemand anderes als der Direktor des Nationalen Palastmuseums höchstpersönlich in den Skandal verwickelt. Das Museum war 1925 nach der Vertreibung Pu Yis aus der Verbotenen Stadt durch den Warlord Feng Yu-hsiang gegründet worden. Nachdem 1928 die nationalistische Regierung Chiang Kai-sheks (1887-1975), die Kontrolle über Nordchina gewonnen hatte, ernannte sie Yi Pei-chi zum neuen Direktor des Museums. Er beaufsichtigte die umfassenden Anstrengungen zur Katalogisierung, welche die Museumsmitarbeiter von 1928 bis 1931 in Anspruch nahmen, und auch die Evakuierung der Sammlung vor den vorrückenden japanischen Truppen im Frühjahr 1933. Der Ärger begann, kurz nachdem die Schätze nach der Evakuierung zu den provisorischen Lagerstätten in Shanghai und Nanking geschafft worden waren. Es wurde gemunkelt, Direktor Yi habe heimlich viele Objekte für seine Privatsammlung "entfernt". Yi legte sein Amt 1933 nieder und wurde in Shanghai vor Gericht gestellt. Während des Prozesses, der sich von 1934 bis 1936 hinzog, wurde die Echtheit vieler Werke in Frage gestellt. Das Gericht forderte den berühmten Kunstkenner Huang Pin-hung auf, bei der Klärung der Frage behilflich zu sein. Sämtliche von Huang als gefälscht identifizierte Objekte (von denen sich aber einige später als echt erwiesen) wurden als Beweismittel für möglichen "Austausch" auf der Stelle beschlagnahmt. Die Willkür dieser Beurteilungen hinterließ eine Ahnung von Zweifel an dem ganzen Verfahren.

Alles wurde anders, als die Sammlung 1949 sicher in Taiwan angekommen war. Seit über 50 Jahren diskutieren die Experten über Echtheitsfragen, und Politiker und Kuratoren haben darüber gestritten, ob die Schätze ins Ausland ausgeliehen werden sollten -- verschwunden ist aber nichts mehr. Durch Technologie und umfassende Schutzverfahren bereitet der Punkt Diebstahl kein großes Kopfzerbrechen mehr. Sicherheitskameras und Personal beobachten jeden Ausstellungsraum, ein Sys tem von Stahltüren riegelt das Innere des Museums nachts zu kleinen Einheiten ab, auf dem Gelände patroullieren militärisch ausgebildete Wachen, und der Zugang zu den Magazinräumen wird streng kontrolliert -- selbst hochrangige Kuratoren dürfen nur zu zweit rein. Kein Stück der Sammlung gelangt jemals nach draußen -- ein Tunnel von den Magazinräumen im Keller des Verwaltungs-Hauptgebäudes führt direkt zu den Ausstellungsräumen.

[Bild] Der berühmte Jade-Chinakohl und andere Jadekunstwerke. Damit die Stücke bei Erdbeben nicht umfallen, wurden viele von ihnen mit kleinen Stücken Wachskitt an der Auslage befestigt.

Diese strenge Sicherheit hat die Wohltäter des Museums offenbar beruhigt, denn es wurden zahlreiche Objekte gestiftet. Der Bestand des Museums ist heute ungleich größer als früher auf dem Festland, und dank einer großen Vielfalt neuerer Werke von taiwanischen und anderen Künstlern sowie zahlreichen von einheimischen Sammlern gespendeten archäologischen Gegenständen ist die Sammlung des Nationalen Palastmuseums Taipeh heute auch weitaus vielfältiger, als die kaiserliche Sammlung jemals war.

Bei aller Sicherheit sind indes nicht alle Gefahren gebannt. Taiwan ist eine feuchte, subtropische Insel mit häufigen Erdbeben -- nicht gerade ideale Bedingungen für die Aufbewahrung jahrtausendealter Relikte, vor allem wenn es sich dabei um korrosionsgefährdete Bronze oder für Mehltau anfälliges Papier und Seide handelt. Feuchtigkeit, Hitze und Erschütterungen sind ein Dauergrund zur Sorge. Andere Gefahren kommen sogar auf Füßen daher -- acht Füße, um genau zu sein.

Nach den Worten von Na Chih-liang, einem der ersten Restauratoren, der 1925 in die Verbotene Stadt kam und bis zu seiner Pensionierung 1975 dem Museumspersonal angehörte, sei eine der größten Gefahren, denen die Sammlung während der 16-jährigen Odyssee von Peking nach Taiwan ausgesetzt war, nicht die japanischen Bomben gewesen (auch wenn ein paar von ihnen beängstigend nahe kamen), sondern die Termiten, von denen einige der vorübergehenden Lagereinrichtungen befallen waren. Die Gefahr des Insektenbefalls besteht bis heute.

Eine der dringendsten Aufgaben der Restauratoren ist laut Yang Yuan-chyan, dem heutigen Leiter der Restaurationsabteilung des Museums, "die Käfer fernzuhalten". Wenn Insekten, seien es Kakerlaken oder Termiten, irgendwie in die Magazinräume eindrängen, vielleicht durch Festklammern auf einem neu gespendeten Kunstwerk, und sich dann dort vermehrten, dann wäre die Sammlung schwer in der Bredouille. "Der Gedanke, dass eine Kakerlake ein Loch in das Gemälde Früher Frühling von Guo Xi -- einem der großartigsten Beispiele von Song-zeitlicher Landschaftsmalerei -- nagen könnte, bringt mich zum Schaudern", raunt Zoe Kwok, ein amerikanischer Postgraduiertenstudent im Fach Chinesische Kunstgeschichte und früherer Praktikant im Museum.

Damit solches Grauen nicht Wirklichkeit werden kann, wird jede Neuerwerbung laut Yang Yuan-chyuan vor der Aufnahme ins Magazin bestrahlt. Zur Abschreckung der garstigen Krabbeltiere kommen auch einfachere Mittel zum Einsatz: In den Lagerräumen werden Insektenfallen aufgestellt, und Gemälde und Kalligrafien werden in Kisten aus Kampferholz gelagert, das wegen seines Duftes von Natur aus nicht von Insekten befallen wird. Zusammen tun diese Methoden ihre Wirkung, die kleinen kriechenden Eindringlinge fernzuhalten.

Wegen der Schimmelpilze und natürlichen chemischen Reaktionen, die auf Seidengemälden Flecken hinterlassen und auf antiken Bronzegegenständen eine grüne Patina erzeugen, werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit genau reguliert. "Für verschiedene Medien braucht man unterschiedliche Bedingungen", doziert Yang. "Da die meisten Stücke der Sammlung aus Peking stammen, versuchen wir im Allgemeinen, das kühle und trockene nordchinesische Klima so ähnlich wie möglich nachzuahmen." Aus diesem Grund ist es für Museumsbesucher ratsam, selbst bei größter Sommerhitze eine Jacke oder ein Sweatshirt mitzubringen. Klimaanlagen halten die Temperatur in den Ausstellungsräumen konstant bei 20 Grad Celsius. In den Vitrinen selbst ist die Temperaturregelung sogar noch strenger. Diese Vitrinen sind zwar nicht vollkommen luftdicht, die fest versiegelten Glaskästen trennen die Kunstschätze aber dennoch wirksam von der äußeren Umgebung ab. Drinnen wird Luftfeuchtigkeit mit feuchtigkeitsabsorbierendem Pulver reduziert, das unter der Auslage versteckt ist und dessen Dosierung genau auf die Größe der Vitrine abgestimmt ist. Bronze wird bei einer Luftfeuchtigkeit von 40 Prozent gehalten, Gemälde bei 55 Prozent, und Lackwaren -- die bei zu trockener Luft Risse bekommen -- bei 65 Prozent.

Licht ist ebenfalls potenziell schädlich. Manche Besucher beklagen sich über die relative Dunkelheit in den Ausstellungsräumen für Gemälde, doch die mit Tusche gemalten chinesischen Bilder und Kalligrafien sind extrem anfällig für Verblassen. Damit so viel wie möglich vom ursprünglichen Farbenreichtum der Originale erhalten bleibt, wird das Beleuchtungsniveau für Gemälde und Kalligrafien bei 50 Lux oder weniger gehalten, genau ein Fünftel der Lichtmenge, mit der Lack- oder Jadestücke angestrahlt werden. Auch ultraviolettes Licht übersteigt nicht 75 Lux, deutlich unter dem normalen Niveau von 200 Lux.

Bei den neuesten Maßnahmen gegen Erdbeben wird Hightech zum Einsatz kommen. Dieses Jahr soll mit einer groß angelegten Renovierung begonnen werden, und das Museum erwägt, im Rahmen dieses Projekts einige Austellungsstücke erdbebensicher zu installieren. Dabei sollen nach Maß angefertigte Schaukästen oder gar ganze Ausstellungsräume auf eine Lage von Rollen und Gegengewichten gebaut werden, durch welche sie sich unabhängig von der Umgebung bewegen und so ein stabiles Gleichgewicht halten könnten, während der Rest des Museums wackelt. "Das Problem dabei sind die Kosten", seufzt Yang. Erdbebensicherung dieser Art ist außerordentlich teuer. Wenn man bedenkt, dass der Etat der Restaurationsabteilung nur einen Bruchteil des jährlichen Museumsbudgets von 18 Millionen US$ ausmacht, dann wird wird es wohl noch eine Weile dauern, bis die ganze Sammlung auf diese Weise geschützt werden kann.

[Bild] Aufgrund chemischer Reaktionen kann altertümliche Bronze von einer grünen Korrosions-Patina überzogen werden. Hier bearbeitet ein Restaurator ein Bronzestück.

Unterdessen wird Schutz gegen Erdstöße mit weniger aufwändigen, aber gleichwohl wirksamen Maßnahmen erzielt. Eine der ältesten und einfachsten Methoden ist die Sicherung eines Gegenstandes mit einer dünnen Angelschnur. Eine solche Schnur ist zwar transparent, aber dennoch sichtbar und beeinträchtigt daher die "ungehinderte Betrachtung", welche eigentlich vom Museum erwünscht wird. Diese Methode kommt daher nur bei einigen wenigen hohen und besonders instabilen Stücken zur Anwendung.

Die zweite Methode besteht darin, eine besondere Art von Wachskitt an der Unterseite des Exponats anzubringen und das Stück dadurch mit der Auslage zu verbinden. Wenn man beim Museumbesuch genau hinschaut, kann man bei manchen Objekten sehen, dass ein wenig Kitt an der Unterseite hervorlugt. Manche Kuratoren bemängeln hingegen, dass es zuweilen schwierig ist, den Kitt von rauen Oberflächen wie korrodierter Bronze oder unglasierter Keramik zu entfernen.

"Was kann man denn sonst noch tun?" frage ich.

Yang lächelt und geht zu einem Kasten an der gegenüberliegenden Seite seines Büros, aus dem er eine Handvoll kleiner Stoffkissen hervorholt. Eines davon lässt er in meine Hand fallen -- es ist überraschend schwer. "Blei", erklärt Yang. "Wir legen diese Dinger in ein Gefäß. Das verlegt den Schwerpunkt nach unten, damit das Gefäß nicht so leicht umkippt."

Wenn ein Gefäß trotz all dieser Vorsichtsmaßnahmen dennoch umfallen sollte, wird die Beschädigungsgefahr mit streng kontrollierten Ausstellungstechniken gemindert. "Wie?" frage ich und erwarte insgeheim eine spektakuläre Erklärung wie Polsterplatten, die an einer Spiralfeder aus der Wand springen, oder Airbags mit Vibrationsauslöser. Yangs Antwort ist geradezu enttäuschend banal: "Wir stellen die Objekte weit genug auseinander. Wenn eins umfällt, löst das keinen Dominoeffekt aus."

Diese Techniken sind zwar nicht gerade anspruchsvoll, erfüllen aber durchaus ihren Zweck. Als am 21. September 1999 ein schweres Erdbeben der Stärke 7,3 auf der Richterskala die Insel erschütterte, stürzten in Taipeh mehrere Gebäude ein, doch im Palastmuseum kam nicht ein einziger Gegenstand zu Schaden.

Insekten, Feuchtigkeit, Erdbeben -- alles Gefahren der Natur. Eine weitere Gefahr ist dagegen vom Menschen und der modernen Industriegesellschaft erzeugt: Luftverschmutzung. Da geht es den Kunstgegenständen nicht anders als den Menschen -- saubere und frische Luft vertragen sie besser.

Wer auf dem Vorplatz vor dem Museum steht, kann feststellen, dass die Reisebusse nach dem Aussteigen der mit Kameras behängten Passagiere ohne Verzug losfahren und am Fuß des Hügels in einiger Entfernung zum Museum auf einem Parkplatz stoppen. Der Grund dafür ist nicht (nur), dass die Fahrer Karten spielen wollen. Das Museum führt nämlich zwei Mal im Jahr eine Kontrolle der Luftqualität im Museum und seiner Umgebung durch. Vor einiger Zeit kam man zu dem Schluss, dass die parkenden Busse (die oft für die Klimaanlagen ihre Motoren laufen lassen) zu viel Abgase in die Luft pusteten, also wurden sie an den Fuß des Hügels verbannt. Falls sich die Abgaswerte um das Museum herum eines Tages weiter verschlechtern sollten, wird die PKWs wohl das gleiche Schicksal ereilen. "Momentan bewegen sich die Luftwerte locker innerhalb der internationalen Grenzwerte", beschwichtigt Yang.

Ob beim Schutz gegen Luftverschmutzung, Diebstahl, Erdbeben oder andere natürliche Gefahren, das Nationale Palastmuseum Taipeh wendet eine wirksame Kombination einfacher Methoden und Techniken an: Wachen, Schloss und Riegel, Bestandsverzeichnisse, Kampferkästen, Lichtdämpfung und kleine Bleibeutel. Hochmodern kann man das nicht nennen, aber vielleicht sollte man die Effizienz von einfacher Logik und guter Verwaltung berücksichtigen. Die Bilanz des Museums spricht für sich selbst. Auch ohne ein riesiges Budget für Sicherheit und Restaurierung obsiegt der gesunde Menschenverstand.

(Deutsch von Tilman Aretz)

Jeffrey Moser ist Redakteur der Museumszeitschrift National Palace Museum Newsletter and Bulletin und hat an zahlreichen Übersetzungsprojekten des Museums mitgewirkt.

vgl.: http://www.gio.gov.tw/info/nation/ge/fcr97/2003/3/p38.htm