Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. April 2001
 
     
 

Schätze mit Diplomatenpaß
Taiwan bewahrt die größte chinesische Kunstsammlung - im Ausland genießen die Exponate juristische Immunität
Von Anne Schneppen

TAIPEH, im April. Ein Land, zwei Systeme - so erträumt sich Peking die chinesische Zukunft. Ein China, zwei Palastmuseen - das ist seit langem Wirklichkeit. Mit Dollars und Diplomatie hat Taiwan ebenso ausdauernd wie erfolglos versucht, sich politisch gegen die mächtige Volksrepublik durchzusetzen. Die 1949 unter General Tschiang Kai-schek vor den Kommunisten auf dem Festland geflüchteten Nationalchinesen schufen auf Taiwan ihre "Republik China", die der "Volksrepublik China" Konkurrenz machen sollte. Wie vieles andere fand auch das Palastmuseum in Peking seine Entsprechung in Taipeh.

Doch während die Rivalität wirtschaftlich und politisch bis heute in einer instabilen Balance schwebt, hat kulturgeschichtlich betrachtet die alte Kaiserstadt den kürzeren gezogen. Denn nicht im Reich der Mitte wird die größte und bedeutsamste chinesische Kunstsammlung bewahrt und bewacht, sondern in der vermeintlich abtrünnigen, rebellischen Provinz Taiwan.

Fern vom Lärm und Schmutz der jungen Hauptstadt Taipeh, die sich gierig weiter und weiter in die grünen Hügel frißt, steht der monumentale Prachtbau des Nationalen Palastmuseums, die vorerst letzte Heimat der kaiserlichen Sammlung aus der Verbotenen Stadt. So groß ist der Schatz, daß die Inventur zwei Jahre dauerte: Von 1989 bis 1991 zählten taiwanische Wissenschaftler 645 784 Objekte, nur ein Bruchteil davon kann jeweils ausgestellt werden. Das meiste lagert in den Bergen hinter dem 1965 eröffneten Museum in einem unterirdischen Labyrinth von Höhlen und Stollen. Dort werden die antiken Preziosen aus fünf Jahrtausenden mit modernster Technik vor Erdbeben, Bränden, Überflutungen, Insekten und Zerfall geschützt - und vor drohenden Angriffen von außen.

Alle paar Monate wechseln die Exponate, um möglichst viele wenigstens einmal einem Publikum zugänglich zu machen; wollte ein Besucher den gesamten gehüteten Schatz sehen, müßte er sich mindestens zehn Jahre gedulden. Allein die Kataloge der bisherigen Ausstellungen füllen ein mittelgroßes Zimmer. Vor 1000 Jahren begonnen, umfaßt die Sammlung neolithische Jade und prähistorische Töpferei, kostbare Bronze aus der Shang- und Zhou-Dynastie, seltene Gemälde und Kalligraphien aus der Tang-, Sung- und Yuan-Zeit, wertvolle Bücher und Schriftrollen, Lackschnitzereien, .exquisites Steingut und Porzellan, Emailarbeiten, Schmuck und Textilien - das Erlesenste, was die chinesische Zivilisation hervorgebracht hat.

Es entbehrt nicht der Ironie, daß ausgerechnet Taiwan zum Hafen dieser Kostbarkeiten geworden ist, die immer auch mit der politischen Herrschaft verbunden waren. Taiwans wechselvoller Werdegang zwischen Selbstbehauptung und Schutzsuche Spiegelt sich in der abenteuerlichen Geschichte der kaiserlich-chinesischen Kunstsammlung, die erst nach Jahrzehnten der Flucht zur Ruhe kam. Von Kaiser Taizong im 10. Jahrhundert begonnen, war der stetig wachsende Schatz bis zum Sturz der Ching-Dynastie und der Gründung der "Republik China" im Jahr 1911 nur dem Herrscher und seinem erlauchten Kreis vorbehalten. Nach der Vertreibung des letzten Kaisers Puyi aus der Verbotenen Stadt öffnete 1925 das neu gegründete Palastmuseum erstmals seine Tore dem Volk. Doch schon sechs Jahre später begann eine Odyssee, die aus festlandchinesischer Sicht noch immer nicht zu Ende ist.

Im September 1931 zettelten die japanischen Militaristen den Mukden-Vorfall in Nordost-China an, der zur Besetzung der Mandschurei führte. Bei Nacht und Nebel schaffte die Nationalregierung von Tschiang Kai-schek, die fürchtete, daß die Schätze des Palastmuseums den Japanern in die Hände fallen könnten, den wertvollsten Teil in fünf Zügen von Peking Richtung Süden nach Nanking und von dort nach Schanghai. Als die Japaner sich weiter näherten, vom Norden und der Küste her angriffen, wurden die Kunstgegenstände in 20 000 Holzkisten auf Gleisen und Straßen im Zickzackkurs über Berge und Flüsse durch das Kriegsgebiet transportiert und in die Inlandsprovinzen Sichuan und Guizhou verfrachtet, verfolgt von Luftangriffen und Maschinengewehrsalven. Tausende Kisten überdauerten die Kämpfe in einem abgelegenen Versteck im Dorf Emei und auf einem Dampfer nahe Chungking. Zwei Jahre nach der Kapitulation Japans, 1947, wurde der Schatz wieder nach Nanking verfrachtet, in die Hauptstadt von Tschiang Kai-scheks Kuo-min-tang. Doch mit dem Bürgerkrieg rückten die Kommunisten nach Süden vor, wieder wurde in nächtlicher Hast zusammengepackt.

Ende 1949 traten die unterlegenen Nationalisten die Flucht über das Wasser an, nach Taiwan. Die wertvollsten Kunstgegenstände hatten sie mitgenommen - mit Ausnahme der Tibetica und einiger anderer Gegenstände, die damals noch nicht als "Kunst" galten. Taipeh spricht heute von Rettung, Peking hingegen von Raub. Wenn auch mit Sicherheit nicht die reine Liebe zur Kunst, sondern der politische Machtanspruch Tschiang Kai-schek beflügelte, so .hat sein Handeln doch das kulturelle Vermächtnis vor der Zerstörung durch die japanische Invasion und die chinesische Kulturrevolution bewahrt. In Taiwan angekommen, blieben die Kisten verpackt in einer Lagerhalle: Die Exilregierung der Kuo-min-tang lebte lange im Glauben der baldigen Rückkehr, mit dem Zusammenbruch des Mao-Regimes sollte Festlandchina zurückerobert werden. Aus zwei Jahren wurden zehn, aus einem vorübergehenden ein dauerhaftes Provisorium. Erst 1965 hatte die abenteuerliche Reise ein Ende. In Waishuangxi, am Rande Taipehs, wurde das "Nationale Palastmuseum" eröffnet. Beim Auspacken soll nicht ein einziges Stück beschädigt gewesen sein. Drei Millionen Besucher zählt das Palastmuseum seitdem Jahr für Jahr.

Dem chinesischen Kulturerbe hatten die Kuo-min-tang in ihrem Exil auf Taiwan ein Denkmal für die Zukunft gesetzt. Die fortlebende politische Dimension des Kaiserschatzes zeigt sich auch daran, daß der Direktor des Palastmuseums in Taipeh automatisch Mitglied des Kabinetts ist. Als die Kuo-min-tang vor einem Jahr erstmals die Präsidentschaft in ihrer Wahlheimat verloren, übergaben sie damit auch den Schatz, den sie den Kommunisten auf dem Festland entrissen hatten. Die neue Regierung, die Taiwans Unabhängigkeit betreibt, hat den Posten des Museumsdirektors mit dem Historiker Tu Chen-sheng besetzt, einem gebürtigen Taiwaner aus der Provinz Kaohsiung.

Langsam befreite sich Taiwan vom politischen Erbe der Kuo-min-tang. Das kulturelle Erbe Festlandchinas aber hält Taiwan fest in den Händen. Als die Volksrepublik die Rückgabe Macaos feierte, war es das Palastmuseum in Taipeh, nicht das in Peking, wo die 450 Jahre alte Urkunde ausgestellt wurde, welche die portugiesische Hoheit über die Insel verbriefte. Die lange Wanderschaft der kaiserlichen Sammlung hat deren Hüter in Taiwan so vorsichtig werden lassen, daß sie einer neuen Reise nur zaghaft zustimmen. Peking forderte wieder und wieder die Herausgabe "seiner" Besitztümer, lange Zeit durften Exponate aus Taipehs Palastmuseum die Insel daher überhaupt nicht verlassen.

Im Jahr 1996 wurde eine Ausstellung in Paris erst genehmigt, nachdem die französische Regierung die Rückkehr der Exponate garantiert hatte, zur Beruhigung der Taiwaner wurde ein entsprechendes Gesetz erlassen. Zwei Jahre später ließ das Palastmuseum dann auch einige seiner Objekte unter strikten Vorkehrungen in die Vereinigten Staaten ziehen, nachdem Washington ihnen "juristische Immunität" zugesichert hatte. Die dritte große Auslandsausstellung ist für das Jahr 2003 in Deutschland geplant. In der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn und auch in Berlin sollen 400 Werke der Kaiserhöfe der Sung-, Yuan-, Ming- und der Ching-Dynastie gezeigt werden.

Für die Initiatoren der Kunst- und Ausstellungshalle gab es eine Vielzahl politischer Hindernisse zu überwinden. Die größte Hürde, der Erlaß eines Gesetzes zur garantierten Rückgabe der Exponate, wurde vor anderthalb Jahren genommen: Darin wird zugesagt, daß dem Rückgabeanspruch des Verleihers keine Rechte entgegengehalten werden können, die Dritte - gemeint ist vor allem China - an dem Kulturgut geltend machen. Bis zur Rückgabe an das Palastmuseum in Taipeh sind gerichtliche Klagen auf Herausgabe, Arrestverfügungen, Pfändungen und Beschlagnahme unzulässig. Kompliziert wurden die Verhandlungen auch durch die politischen Wechsel in Taiwan und Deutschland. Die taiwanische Seite legte Wert auf den Standort Berlin und wünschte - ähnlich wie in Frankreich - dafür eine entsprechend repräsentative Ausstellung wie im Palastmuseum. Nach sieben Jahren Vorbereitung steht der Vertrag nun kurz vor der Unterzeichnung.

Eine Ausstellung in Peking, an den Ursprüngen in der Verbotenen Stadt, ist indessen nicht abzusehen. Immerhin haben sich die Leiter der beiden Palastmuseen in Taiwan und China aber im vergangenen Oktober vage über eine Kooperation verständigt. Tan Bin, der nach Taipeh entsandte Stellvertreter des Pekinger Museums, ließ sich gerührt vernehmen, die "überwältigende Ähnlichkeit" der beiden Wahrzeichen wecke "Heimatgefühle" in ihm. Tu Cheng-sheng, der Taiwaner, entgegnete freundlich und bestimmt, man könne sich vorstellen, in Zukunft Exponate auch nach China zu entsenden - wenn Peking bereit sei, wie Washington und Paris die Rückgabe sicherzustellen. Der Schatz des Palastmuseums ist für Taiwan ein wertvolles symbolisches Pfand.

vgl: http://www.taiwan-info.de/html/deutsch/gugong.htm