Der Spiegel, 14.07.2003
 
     
 

Zwei Männer im Boot
Eine glanzvolle Ausstellung in Berlins Altem Museum präsentiert Prachtstücke chinesischer Kultur: die "Schätze der Himmelssöhne".
Joachim Kronsbein

Ihr Machtanspruch war absolut. Alles unter dem Himmel in ihrem riesigen Reich gehörte ihnen. Sie brauchten nur die Hand auszustrecken. Was die chinesischen Kaiser besitzen wollten, nahmen sie sich - über Jahrtausende.

Aber ein Kaiser hatte auch kulturelle Pflichten. Von einem "Himmelssohn", wie sich die Kaiser nannten, wurde erwartet, dass er das, was seine Vorgänger an Bronzen, Porzellan, Bildern, Schriftrollen, Jade-Schmuck oder Lackarbeiten sammelten, auch erhielt und den Schatz möglichst mehrte. Kunstbesitz war ein Zeichen höchster Bildung. Und mindestens eine Kunstfertigkeit - sei es Kalligrafie, Dichtung oder Musik - musste ein Kaiser, der auf sich hielt, wohl oder übel beherrschen.

Kaiser Hui-tsung etwa ließ sich im 12. Jahrhundert zu einem Meister-Kalligrafen ausbilden und erfand gleich eine neue Schriftart, die so fein und kunstvoll war, dass sie "schlankes Gold" genannt wurde. Niemand außer dem Kaiser hat sie je wieder beherrscht.

So häuften die Herrscher Chinas in über 2000 Jahren gelehrten Sammelns einen immensen Reichtum an: Die "Schätze der Himmelssöhne". Unter diesem Titel zeigt - zum ersten Mal in Deutschland - das Alte Museum in Berlin von diesem Freitag an bis zum 12. Oktober 400 der kostbarsten Stücke aus dem Palastmuseum der taiwanischen Hauptstadt Taipeh. In der Bundeskunsthalle Bonn, die die Schau zehn Jahre lang vorbereitet hat, ist die Ausstellung vom 21. November bis zum 15. Februar 2004 zu sehen.

Dokumentiert wird die Entwicklung der chinesischen Kunst, Meisterwerke aus einer der langlebigsten Hochkulturen der Welt. Das älteste Objekt ist ein winziger Vogelkörper aus Jade, der in seiner vereinfachenden Form verblüffend modern wirkt. Die Arbeit stammt aus der Zeit von 4000 bis 3500 vor Christus.

Frühe Bronzegefäße - sie entstanden ab Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus - geben die Formen vor, die noch Jahrhunderte später in der chinesischen Kunst immer wiederkehren, etwa der Dreifuß, der auf ein stilisiertes Euter zurückgeht.

Einige der Berliner Exponate sind Schlüsselwerke der chinesischen Kulturgeschichte. So ist in Berlin auch das berühmte Bild "Der Fischer" von Wu Chen zu sehen, das 1342 entstand. Es zeigt zum ersten Mal Menschen in einer idyllischen, besänftigenden Landschaft. Im Vordergrund sitzt ein Mann in einem Boot und fischt, nur begleitet von seinem rudernden Diener.

Bis zu diesem Wendepunkt chinesischer Seidenmalerei war Landschaft in erster Linie majestätisch-einschüchternd und vor allem menschenleer. "Der Fischer" markiert den Beginn einer neuen, bis heute lebendigen Tradition.

Solche einmaligen "Schätze der Himmelssöhne" bietet die Ausstellung reichlich. Doch beinahe wäre das aufwendige Projekt, dessen Versicherungswert bei über 200 Millionen Euro liegt, gar nicht zu Stande gekommen. Die Kunstwerke, etwa die berühmten Porzellane aus der Ming-Dynastie, sind bitter umkämpfte Streitobjekte zwischen den beiden chinesischen Staaten.

Das politische Hickhack um die Kunst ist das Ergebnis des bis heute andauernden Konflikts zwischen Volksrepublik und Taiwan - eines Bruderkriegs, der in einem längst historischen Zwist wurzelt: Als die beiden Kampfgefährten Mao Zedong und Chiang Kai-shek den chinesisch-japanischen Krieg 1945 siegreich beendet hatten, fand naturgemäß ihre Partnerschaft ebenfalls ein Ende. Beide wollten die Macht.

Mao Zedong setzte sich in Festland-China durch, Chiang Kai-shek zog sich mit seinen Anhängern auf die chinesische Insel Taiwan zurück. Zu seinem Gepäck gehörten auch die schönsten Stücke der "Schätze der Himmelssöhne" aus der Verbotenen Stadt in Peking. In Tausenden Kisten gelangte die kostbare Kollektion aus der kaiserlichen Sammlung in den Jahren 1948 und 1949 nach Taiwan, wo sie eingelagert wurde.

Als die Vision von einem vereinten China zu verblassen begann und Taiwan und die Volksrepublik sich international als feindliche Staaten mit eigenem Autonomieanspruch präsentierten, wurde auch die Kunst zum Zankapfel. In Taipeh eröffneten die Taiwaner 1965 ihr aufwendiges Nationales Palastmuseum - eigens erbaut für die kaiserliche Sammlung. In Peking fordern die Kommunisten seitdem die Rückgabe der Kollektion. Jede Ausstellung im Ausland ist auch ein diplomatisches Kunststück.

Weil es in Deutschland lange kein Gesetz gab, das die Rückgabe von Kunstwerken an Ausstellungsleihgeber bei Forderungen Dritter garantiert, sah es lange Zeit so aus, als ob das ehrgeizige Projekt scheitern würde. Die Volksrepublik hätte theoretisch die Rückgabe einklagen können.

Doch seit 1998 ist die Lücke geschlossen, und die Taiwaner erhalten nun als Gegengabe für ihre himmlischen Schätze im nächsten Frühjahr eine Ausstellung mit Meisterwerken deutscher Romantiker. Ein wohlfeiler Tausch - für die Deutschen.

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,257805,00.html

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