taiwan heute, 01.2003
 
     
 

Schätze der Himmelssöhne "Das Unmögliche machen wir wahr"

Endlich ist es geschafft: Nach zehn Jahren zähen Ringens und Verhandelns der Bonner Bundeskunsthalle mit dem Nationalen Palastmuseum in Taipeh konnte am 5. November 2002 in Taipeh der Vertrag über die Ausstellung "Schätze der Himmelssöhne" unterzeichnet werden. Erstmalig werden in Deutschland in Berlin und in Bonn Meisterwerke der Sammlung der chinesischen Kaiser aus dem Palastmuseum zu sehen sein.

von Ingrid FUCHS

Fotos mit freundlicher Genehmigung des Nationalen Palastmuseums
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Anonym, "Spielende Kinder an einem Wintertag". Sung-Dynastie (960-1279). Hängerolle, Tusche und Farben auf Seide . 196,2 x 107,1 cm.

Diese Sammlung hatte eine lange Odyssee hinter sich, als sie im 1965 erbauten Nationalen Palastmuseum in Taipeh wieder ausgestellt wurde. Chinas Kaiser unumschränkte Herrscher über Jahrtausende häuften in ihrer großen Sammelleidenschaft die besten Kunstschätze an und horteten sie in Palästen und Schatzkammern, streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Bei jeder Hauptstadtverlegung zogen die Kunstsammlungen mit, im 15. Jahrhundert kamen sie nach Peking. Bis zur Vertreibung des letzten Kaisers Pu Yi (1906-1967, Regierungszeit 1908-1911) aus der Verbotenen Stadt im November 1924 blieben sie dort. 1925 wurde in Peking das Palastmuseum gegründet und ein Teil der Kunstschätze zum ersten Mal öffentlich ausgestellt. Doch als die Japaner in Nordostchina einfielen, wurden seltene Jaden, kostbare Porzellane, rituelle Bronzegefäße, Gemälde, Kalligrafien und kostbare Dokumente 1933 in 19 557 Kisten verpackt, diese zunächst nach Shanghai verschickt und dann weiter über Berg und Tal, stets auf der Flucht vor Zerstörung, an immer andere Orte gebracht. Erstaunlicherweise überstanden die meisten Gegenstände diese Reise unversehrt. 1948 konnte ein Teil der Sammlung in Nanking wieder ausgestellt werden. Doch dann näherten sich die Kommunisten der Republikhauptstadt, und wieder wurden die besten Stücke in fliegender Eile eingepackt. Chiang Kai-shek (1887-1975) nahm die Schätze, rund 650 000 Objekte, mit nach Taiwan. Seitdem wird die Volksrepublik China nicht müde, ihre Herausgabe zu fordern. In Taiwan wurde die Sammlung laufend erweitert und umfasst nun repräsentative Werke aus allen Epochen der Geschichte der chinesischen Kultur, angefangen von der frühen Steinzeit (ca. 10 000 bis 5000 v. Chr.) bis zur Moderne.

Die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Ursula Toyka-Fuong, die durch ihr großes Verhandlungsgeschick maßgeblich am Zustandekommen der Ausstellung in Deutschland beteiligt war, verbrachte viele Wochen im Archiv und Magazin des Palastmuseums, um aus diesem großen Schatz vierhundert Exponate auszuwählen, darunter Stücke, die bisher weder ausgestellt noch publiziert worden sind. Gemälde und Kalligrafien werden einen großen Teil der Ausstellung ausmachen. Aus diesem Bereich werden insgesamt 140 Stücke vom Palastmuseum ausgeliehen, von denen 70 nur in Berlin und 70 nur in Bonn gezeigt werden. Die z. T. mehr als tausend Jahre alten Kunstwerke, vor allem die Kalligrafien und die Tuschebilder auf Seide, sind so lichtempfindlich, dass sie in einer Ausstellung auch unter besten Bedingungen höchstens drei Monate gezeigt werden können. Danach müssen sie mindestens anderthalb Jahre "ruhen", bevor sie wieder ausgestellt werden dürfen. Das gilt auch für das aus dem 10. Jahrhundert stammende älteste gedruckte Exemplar des ältesten Wörterbuches der Welt, das etwa 200 v. Chr. entstandene Synonymwörterbuch Erh-ya, dessen erste Seite in Berlin und dessen zweite Seite in Bonn zu sehen sein wird. Besonders erwähnenswert sind auch die Frauenbildnisse auf Seide und Papier aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Dargestellt sind Palastdamen, Konkubinen, Göttinnen und Leute aus dem Volk. Außerdem werden seltene Siegel, kostbare Porzellane, rituelle Bronzegefäße (2000 v. Chr. bis zur Zeitenwende), wunderbare Jadeschnitzereien (4000 v. Chr. bis frühes 19. Jahrhundert), Buchdrucke, prachtvolle Tapisserien, Bildstickereien, Lackarbeiten, Cloisonné, Holzschnitzereien, Elfenbein und auch Tuschesteine aus allen Jahrhunderten ein bei den Chinesen besonders beliebtes Sammelobjekt -- zu sehen sein.

Aus der Periode der Fünf Dynastien (10. Jahrhundert) stammt die dem berühmten Künstler Kuan T'ung zugeschriebene Tuschelandschaft, ein Rollbild, das -- 140,5 cm hoch und 57,3 cm breit -- einen ganz eigenen Zauber auf den Betrachter ausübt.

Kaiser Hsüan-tsung (810-859, Regierungszeit 847-859) gilt als der Erfinder der chinesischen Prüfung für Beamte, an der jeder teilnehmen konnte. Besonderes Gewicht wurde dabei vor allem auf Kalligrafie und Dichtkunst gelegt. Eine von diesem Kaiser in wunderschöner Kalligrafie geschriebene Prosadichtung über Bachstelzen ist in der Ausstellung zu bewundern. Von erlesener Schönheit sind auch die buddhistischen Sutra-Texte in goldener Schrift mit goldenen Miniaturen. Im 17. Jahrhundert gab Kaiser K'ang-hsi (1654-1722, Regierungszeit 1661-1722) einen prachtvollen buddhistischen Kanon in Auftrag. Seine Seiten sind etwa 60 cm lang und 20 cm hoch, auf dunkelblauem Papier mit goldener Schrift, etwa 500 Seiten liegen lose übereinander und werden von einem geschnitzten, bunt bemalten und mit Edelsteinen verzierten Buchdeckel zusammengehalten. Die aufeinandergeschichteten Blätter haben statt eines Goldschnittes malerische Darstellungen, so dass das Werk von allen Seiten prachtvoll anzusehen ist.

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Kaiser Hui-tsung (1082-1135), Zwei Gedichte. Sung-Dynastie (960-1279). Albumblatt, Tusche auf Papier, 33,2 x 63 cm.

Der Mensch und sein Verhältnis zur Gesellschaft und zur Natur stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. Der vergeistigten schwarz-weißen "Kunst der Gelehrten", der Literaten, die sich hauptsächlich in Kalligrafie und Tuschemalerei ausdrückt, steht die sinnliche, farbenfrohe und prachtvolle "Kunst des Volkes" gegenüber.

Warum hat es nun zehn Jahre gedauert, bis diese Ausstellung nach Deutschland geholt werden konnte? Die Idee dazu wurde zum ersten Mal 1992 ernsthaft zwischen Chao Tsing-min und Wilfried Gatzweiler diskutiert. Chao trat damals den Posten des Pressechefs der Vertretung Taipehs in Bonn an. Gatzweiler, der heutige Verwaltungsdirektor der Bundeskunsthalle, war noch beim Deutschen Beamtenbund tätig, sagte aber sofort Hilfe zu und schrieb an den damaligen Oberbürgermeister der Stadt Bonn. Der antwortete nach längerer Zeit, dass eine solche Ausstellung nicht in das Programm des städtischen Kunstmuseums passe und die Bundeskunsthalle der geeignetere Ansprechpartner sei. Also schrieb Gatzweiler einen zweiten Brief, diesmal an die Bundeskunsthalle. Als er dann ein halbes Jahr später dort seinen Dienst antrat, fand er sein eigenes Schreiben vor, das er nun selbst bearbeiten konnte. Dr. Wenzel Jacob, Direktor der Bundeskunsthalle, und Wilfried Gatzweiler traten mit Taipeh in Kontakt. Die Reaktionen auf den Vorschlag, Schätze des Palastmuseums in Bonn auszustellen, waren wenig positiv. Davon zeigte sich Chao Tsing-min jedoch überhaupt nicht beeindruckt, sondern ging unter dem Motto: "Das Unmögliche machen wir wahr!" in die Offensive.

Endlich, 1996, war man in Taipeh grundsätzlich zu einer Ausstellung bereit. Allerdings galt es, noch eine politische Hürde zu nehmen: Es musste sichergestellt werden, dass niemand auch nicht die VR China Zugriff auf die Exponate nehmen konnte. Eine rechtliche Grundlage, einen solchen Zugriff zu verhindern, gab es jedoch in Deutschland noch nicht, und mit einer einstweiligen Verfügung hätte so ziemlich jeder eine Beschlagnahmung bewerkstelligen können. Alle Überlegungen, wie eine Sicherung zu gewährleisten sei, endeten in einer Sackgasse. Es wurde deutlich, dass auf dem Wege einer völkerrechtlichen Erklärung eine solche Ausstellung nie zustande kommen würde. Das Risiko, dass nicht alle Ausstellungsstücke nach Taipeh zurückkehren könnten, war einfach zu groß.

1998, kurz vor dem Ende der Legislaturperiode, in der letzten Phase der Regierung Kohl, wurde im Deutschen Bundestag das "Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachte Kulturgüter und zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (Kulturgutsicherungsgesetz)" verabschiedet. In dieses Gesetz ist auf Initiative der Bundeskunsthalle der zusätzliche Paragraph 20 aufgenommen worden, der garantiert, dass Kulturgut, das nach Deutschland eingeführt wird, grundsätzlich unberührt von möglichen anderen Besitzansprüchen in jedem Falle an den Leihgeber zurückgeführt wird und damit auch dem Zugriff der Justiz entzogen ist. In der letzten Bundesratssitzung der Legislaturperiode stimmten die Länder diesem Gesetz zu. Dass dieser Kraftakt in Bundestag und Bundesrat so kurz vor den Wahlen überhaupt gelungen ist, war auch der engagierten Unterstützung der Mitglieder des Parlamentarischen Freundeskreises Bonn-Taipeh und der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft e. V. zu verdanken.

Nachdem nun diese scheinbar letzte Hürde genommen war, stellte Taipeh neue Forderungen. War bislang immer die Rede davon gewesen, eine Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu machen, sollte nun zusätzlich eine Ausstellung in Berlin stattfinden. Aus dieser Forderung ergaben sich neue Probleme: Wo in Berlin konnte die Ausstellung gezeigt werden und wer sollte das bezahlen? Während noch über diese Fragen nachgedacht wurde, kam eine weitere Bedingung auf den Tisch: Eine in Güte und künstlerischem Rang vergleichbare Ausstellung aus Deutschland sollte im Gegenzug in Taipeh gezeigt werden. Die Bundeskunsthalle ist jedoch ein "leeres Haus", d. h. sie hat keine eigene Sammlung. Sie ist darauf angewiesen, dass sie von anderen Häusern, Kultureinrichtungen oder Sammlungen Exponate für eine Gegenausstellung bekommt. Der damalige Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Prof. Dr. Christoph Stölzl, erklärte sich bereit, die Gegenausstellung in Taipeh zu veranstalten und die Ausstellung aus dem Palastmuseum in Berlin zu zeigen. Dr. Jacob von der Bundeskunsthalle und Prof. Stölzl unterzeichneten 1999 in Taipeh mit dem damaligen Direktor des Palastmuseums Prof. Chin Hsiao-yi erste Vereinbarungen zur Realisierung der Ausstellungen. Die Zeitungen in Taiwan waren voll mit Überschriften wie "Kulturgüter aus dem ehemaligen chinesischen Kaiserpalast kommen im Jahre 2001 nach Bonn und Berlin" oder "Raritäten aus dem ehemaligen chinesischen Kaiserpalast Vereinbarungen über Ausstellungen in Deutschland". Ausführliche Diskussionen und viele Gespräche wurden geführt, dann schied Prof. Stölzl aus der Leitung des Museums aus und wurde Kultursenator in Berlin. Sein Nachfolger hatte jedoch kein Interesse an der geplanten Ausstellung, und so begann die Suche nach einem Partner für die Bundeskunsthalle von neuem.

Es fand sich dann der Träger "Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz" in Berlin. Zunächst war vorgesehen, die Ausstellung in Berlin im Gropiusbau, den die Bundeskunsthalle sozusagen als Außenstelle mitbetreibt, zu veranstalten. Der war jedoch für den vorgesehenen Zeitraum nicht mehr frei. Nach langem Hin und Her bot sich die Möglichkeit, die Ausstellung im Alten Museum auf der Museumsinsel in Berlin zu zeigen.

Nun war nur noch die Frage der Finanzierung zu lösen. Während die Finanzierung für die Bonner Ausstellung von Anfang an gesichert war, blieb sie für Berlin noch offen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verfügt über keinerlei Mittel, Ausstellungen dieser Art zu finanzieren. Endlich wurden die Gelder über den Hauptstadtkulturfonds zur Verfügung gestellt, um wenigstens die Hauptkosten in Berlin abzudecken. Das Restrisiko liegt weiterhin bei der Bundeskunsthalle.

Es gab weitere Verzögerungen: Eine sehr umfangreiche und bürokratische Diskussion entspann sich über die Frage, ob juristisch auch alles genügend abgesichert sei. Ein Rechtsgutachten wurde angefertigt. Die Vorschriften und die Schutzgarantien in Versicherungsfällen mussten genauestens erörtert und erläutert werden, denn in diesem Falle garantiert die Bundesrepublik Deutschland nicht etwa eine private Versicherung für alle Eventualitäten nach dem Prinzip "von Nagel zu Nagel", d. h. die Exponate sind vom Zeitpunkt des Abhängens vom Nagel im Gebermuseum bis zu ihrer Wiederaufhängung dort versichert. Langwierige Erörterungen ergaben sich überdies sowohl in Deutschland als auch in Taipeh im Hinblick auf den Titel der Ausstellung.

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Yin-tso-wen fu ting-Dreifuß (ting), Übersetzung: Ein von Yin für seinen verehrten Vater gefertigter Dreifuß. Spätphase der Shang-Dynastie (ca. 13. 11. Jahrhundert v. Chr.). Bronze, 75,9 x 54,5 cm.

Letztlich konnten alle Probleme gelöst werden, und so fand der zehnjährige Prozess der Ausstellungsplanung mit der Unterzeichnung des historischen Vertrages in Taipeh durch Prof. Dr. Tu Cheng-sheng, Generaldirektor des Palastmuseums, Dr. Jacob, Direktor der Bundeskunsthalle, und Prof. Dr. Günther Schauerte, stellvertretender Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz zu Berlin ein richtiges Happy-End.

Dass das Unmögliche wahr werden konnte, dazu haben viele beigetragen, ganz besonders aber die "Väter" der Ausstellung -- Chao Tsing-min, der sich immer wieder bei Regierungsstellen und einflussreichen Leuten in Taipeh für das Zustandekommen der Ausstellung eingesetzt hat, und Wilfried Gatzweiler, Verwaltungsdirektor der Bundeskunsthalle, der sich nie entmutigen ließ.

"Schätze der Himmelssöhne" Die kaiserliche Sammlung aus dem Nationalen Palastmuseum Taipeh Die großen Sammlungen XI.
Berlin, Altes Museum, 18. Juli 2003 bis 12. Oktober 2003
Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 21. November 2003 bis 15. Februar 2004. Mit einem umfangreichen kulturellen Rahmenprogramm.

"A Century of German Art and Genius From Goethe to Modernity" heißt die erste große deutsche Kunstausstellung im chinesischen Kulturraum, die in Taipeh im Frühjahr 2004 von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, präsentiert wird. Gezeigt werden Meisterwerke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus den Berliner Beständen, darunter Porzellan, Glas, Silber, Möbel, Kupferstiche und Gemälde unter anderem von Caspar David Friedrich, Karl Friedrich Schinkel und Arnold Böcklin.

http://www.gio.gov.tw/info/nation/ge/fcr97/2003/1/p2.htm