Neues Deutschland, 19.07.03
 
     
 

Detailtreue aus zwei Jahrtausenden
»Schätze der Himmelssöhne« – Kaiserliche Sammlung aus China in Berlin
Von Jack Rodriguez

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Ein Kleinod aus Fernost ND-Foto: Burkhard Lange

In gedämpftes Licht getaucht, steht gleich am Eingang zur Ausstellung »Schätze der Himmelssöhne« ein Lieblingsobjekt von Kaiser Kao-tsung – eine Jadescheibe von etwa 30 Zentimetern Durchmesser. Der chinesische Herrscher pflegte einen unkonventionellen Umgang mit dem neusteinzeitlichen Artefakt, das einst die Jahresbahn der Sonne symbolisierte: Er gravierte zwei von ihm selbst verfasste Gedichte in den Nephrit und fügte einen fein geschnitzten und mit Drachen verzierten Ständer hinzu. Doch nicht nur das. Während seiner Regentschaft von 1736–1795 prägte er durch gezielte Neuerwerbungen und Systematisierung die gesamte kaiserliche Sammlung, die Dynastien vor ihm seit etwa 2000 Jahren zusammengetragen hatten.

Über diese lange Zeit blieb die Sammlung trotz Kriegen, wechselnder Einflussgebiete und Herrscherfamilien in ihrem Kern erhalten, weil ihr Besitz an die Macht gebunden war. Als der letzte Monarch Pu-yi nach seinem Sturz 1912 den Verkauf der Kunstschätze als Geldquelle entdeckte, schob die Regierung einen Riegel vor und gründete 1925 das Nationale Palastmuseum. Es besitzt somit die umfassendste Sammlung von Kunst, Kunsthandwerk, Ritual- und Gebrauchsgegenständen aus der Geschichte Chinas.

Jetzt sind davon 400 Exponate aus allen Epochen erstmals in Deutschland ausgestellt. Gemessen an dieser langen Sammeltradition wirken zehn Jahre Vorbereitungszeit für diese Schau unbedeutend. Initiiert wurde das Vorhaben vom Intendanten der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD in Bonn, Wenzel Jacob. Dass die kaiserlichen Schätze aber zuerst in Berlin präsentiert werden, liegt am Verlust des Hauptstadtstatus des Rhein-Städtchens. Dort lohnt sich jedoch im Herbst ein abermaliger Besuch, weil dann 80 besonders empfindliche Objekte – immerhin 20 Prozent – durch gleichwertige Exponate ausgetauscht werden, um sie vor den Belastungen des Ausstellungsbetriebes zu schützen.

Denn das Halbdunkel gilt weniger der Jade oder archäologischen Bronzegefäßen, sondern vor allem Zeichnungen und Kalligrafien, die in dicht schließenden Vitrinen lagern. Eines dieser ältesten Originale ist eine mehrere Meter lange Schriftrolle. Auf sie schrieb Kaiser Hsüan-tsung Anfang des 8. Jahrhunderts eigenhändig eine »Ode auf die Bachstelzen«. Das Werk gilt wegen seiner Klarheit der Pinselführung als Zeugnis für die fruchtbringende Förderung der Kalligrafie durch den Gründer der Tang Dynastie, Tai-tsung. Ein Sitzbildnis des Kaisers Ning-tsung (1187–1224) aus der Sung Dynastie zeigt eine starke Reduzierung der Formen, aber ohne die Starre und Unförmigkeit des europäischen Frühmittelalters. Die hohe erhabene Nase, die das Gesicht seiner Majestät als »Antlitz eines Drachens« charakterisierte, ist deutlich zu sehen. Beim näheren Hinblicken lassen sich feine Muster in der Tuschemalerei ausmachen.

Überhaupt ist es die Detailtreue, die seit jeher an der chinesischen Kunst fasziniert. Nicht nur in meterlangen Tuschezeichnungen oder auf 2000 Jahre altem Porzellan. Auch in Elfenbein-Schnitzereien, die offensichtlich nach 1700 während der Ching Dynastie ihre Blüte erlebten. Kaum größer als eine Pillendose, beeindruckt eine bergige Flusslandschaft mit Gondeln. Darin sitzen Menschen mit großen Sonnenhüten und sind doch nur so winzig wie ein Stecknadelkopf. Hätte sich der Handwerker nur eine Nachlässigkeit erlaubt, wäre die Harmonie seiner Arbeit zerstört gewesen. Das macht das Kleinod kostbarer als mit Edelsteinen und Gold belegte Emaille-Gefäße. Außerdem benötigt altes Elfenbein besondere museale Pflege.

Neben konservatorischen Bedenken erschweren unklare Besitzverhältnisse die Präsentation der Sammlung außerhalb Chinas. Denn der nationalistische General Tschiang-Kaischek nahm 1949 bei seiner Flucht vor den Kommunisten auch die Schätze des Palastmuseums in sein Exil auf Taiwan. Praktischerweise war das Kulturgut schon seit der japanischen Invasion 1931 in etwa 4000 Kisten versteckt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde es so nicht nur vor dem Raub durch Nippon geschützt, sondern auch vor späterer Zerstörung während der so genannten Kulturrevolution auf dem Festland. Doch nun gibt es wieder Begehrlichkeiten, die Kostbarkeiten aus Taipeh nach Peking zurückzuholen. Daher musste Deutschland der Republik China (Taiwan) versichern, dass es Forderungen der Volksrepublik auf Herausgabe der Ausstellungsgüter nicht nachgibt. Wenzel Jacob möchte zu der Frage nach dem rechtmäßigen Besitzer keine Stellung beziehen: »Wir hatten nicht vor, das zu klären.« Lieber wolle man sich freuen, dass in Berlin neben der Azteken-Schau im Martin-Gropius-Bau nun ein weiteres Highlight der Weltkultur gastiert. Dennoch nutzt auch Taiwan das Interesse an der Kunst, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, die auf diplomatischer Ebene versagt wird. Das scheint im Kontext der Geschichte legitim: Denn wer in China diese Schätze besitzt, hat seit jeher die Macht.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=38666&IDC=4