Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.07.2003, Nr. 165 / Seite 34
 
     
 

Kaiser, Kunst und Kuriosa
Von Ilona Lehnart

18. Juli 2003 Das Glück will es, daß die Berliner Museen in diesen Wochen zeitgleich mit zwei exquisiten kulturhistorischen Ausstellungen glänzen können: der aus London entliehenen "Azteken"-Ausstellung und der Kunstsammlung der chinesischen Kaiser aus dem Palastmuseum in Taipeh. Früchte fremden Fleißes, ist doch der Plan, die "Schätze der Himmelssöhne" erstmals in Deutschland zu präsentieren, nicht in Berlin, sondern in der Bonner Bundeskunsthalle ersonnen und nach zehn Jahren endlich zu einem glücklichen Abschluß gebracht worden.

Daß die Premiere in Berlin stattfindet und nicht in Bonn, ist den Usancen des heutigen Ausstellungswesens zuzuschreiben. Auch den Taiwanern ist das Prinzip des do ut des nicht unbekannt, nach dem umworbene Leihgeber ihrerseits im Gegenzug ein adäquates Kunst-Konvolut zu erhalten hoffen. Diskret, aber unbeugsam hielten sie an dem Wunsch nach einer "Gegenausstellung" fest und stürzten die zielstrebigen Bonner Ausstellungsmacher angesichts ihres "leeren" Hauses in jene Verlegenheit, von der die Berliner Museen nun unverhofft profitieren. Schon im Frühjahr des nächsten Jahres werden dafür Pretiosen aus den Berliner Sammlungen nach Taipeh reisen.

Lächeln des Geistes

Welcher Ausstellungsort wäre für die Kostbarkeiten aus der Kunstsammlung der chinesischen Kaiser angemessen, wenn nicht Schinkels Altes Museum am Lustgarten? Im "Kosmos der Weltkulturen" fügen sich die vierhundert Ausstellungstücke - Gemälde, Kalligraphien, kostbare Siegel, elegante Porzellane, prähistorische Ritualbronzen und Jadeschnitzereien - zu einem Kontinuum, in dem abermals jenes geheimnisvolle "Lächeln des Geistes" in Bann schlägt, das vor zwei Jahren in der Ausstellung der Buddha-Statuen aus dem Tempelfund von Qingzhou faszinierte (F.A.Z. vom 23. Oktober 2001).

Ohnehin verhallt in der zurückhaltenden, auf inszenatorische Effekte verzichtenden Schau der Widerstreit politischer Interessen und Ansprüche, die zwischen Taipeh und Peking in der Schwebe sind. Fest steht, daß die kaiserliche Kunstsammlung eine lange Odyssee hinter sich hatte, als sie 1965 im neuerbauten Nationalen Palastmuseum in Taipeh ein Domizil fand, nachdem sie jahrhundertelang in den Kunstkammern der chinesischen Kaiser verborgen geblieben war. Erst im 15. Jahrhundert kamen die Schätze nach Peking, wo sie bis zur Vertreibung des letzten Kaisers Pu Yi im Jahr 1911 verblieben.

Wirren von Flucht und Vertreibung

Ihr weiteres Schicksal ähnelt dem vieler europäischer Kunstsammlungen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Chiang Kai-scheck die immense, rund siebenhunderttausend Objekte umfassende Sammlung vor den anrückenden Kommunisten vom Festland auf sein Inselreich Taiwan - früher Formosa - verbrachte, lief die Kollektion stets Gefahr, in den Wirren von Flucht und Vertreibung aufgerieben zu werden.

Dem sammlungsgeschichtlichen Interesse der Kunstgeschichte folgend, begreift die Kuratorin Ursula Toyka-Fuong das Konvolut als etwas Geistiges. In der chronologischen Ordnung der Artefakte folgt sie dem Wechsel der Dynastien von der archaischen Shang-Dynastie (ca. 1600 bis ca. 1100 vor Chr.) bis zur Ch'ing-Dynastie (1644 bis 1911). So werden Stilepochen der chinesischen Kunst transparent, vom Neolithikum bis in die von abendländischen Einflüssen infizierte Neuzeit, zugleich aber auch formale Kontinuitäten, insbesondere in der Gefäßkeramik.

Insignium der Macht

Solches Beharren auf tradierten Formen ist einer Weltsicht zuzuschreiben, die durch den Wertekanon der konfuzianischen Bildung geprägt ist. Wo sich das Individuum über Zeit und Raum hinweg als Teil des Universums begreift, spiegeln sich in einem kaiserlichen Sammlungskonvolut, das über mehr als zwei Jahrtausende bewahrt, gehütet und vermehrt wurde, nicht nur die tradierten ästhetischen, sondern auch die hierarchischen Ordnungsmuster. Der westliche Blick auf die gesammelten Raritäten übersieht dabei leicht, daß der mythische "Hort" für einen Herrscher, der sich als Mandatsträger des Himmels verstand, weniger repräsentative als legitimatorische Bedeutung hatte. Die Sammlung war sein Insignium der Macht.

Gleichwohl lehrt die Ausstellung, daß die chinesischen Kaiser, nicht anders als europäische Fürsten und Könige, ihre Sammelaktivitäten mit ausgeprägtem Kunstsinn betrieben. Wieweit ein kunstliebender Herrscher wie Kaiser Kao-tsung (1711 bis 1799) der von 1736 bis 1795 regierte, die Kunst als moralisierendes Instrument verstand, das gleichsam der ästhetischen Erziehung dienen sollte, werden die für den Herbst geplanten Bonner Symposien klären. Aus der Folge der berückenden Artefakte dieser Epoche läßt sich indes ablesen, daß der höfische Kunstgeschmack eine Neigung zur Verfeinerung, ja zum manieristisch Preziösen entwickelte.

Erfahrung des Spirituellen

Die westliche Wahrnehmung wertet vor allem den geistig-schöpferischen Akt und die Schönheit des Materials. Gleichwohl will die Schau mehr als nur sinnlichen Genuß bieten. Primär setzt sie auf die Erfahrung des Spirituellen. Aus dem sichtbar gemachten Dualismus von Geist und Schönheit schöpfend, soll das Auge zwischen der höfischen Ästhetik und der Gelehrtenkunst differenzieren. Meisterwerke der Kalligraphie wechseln sich daher in steter Folge ab mit kunsthandwerklichen oder künstlerischen Artefakten: erlesenen Porzellanvasen, bauchigen Tee- und Speiseopfergefäßen, goldenen Weihrauchbrennern oder Lampen in fabulöser Tiergestalt. Nicht zuletzt jedoch fasziniert die Malerei als "Spiegel der inneren und äußeren Natur". In prächtig illuminierten Handschriften und auf Hängerollen aus reiner Seide drückt sich in lichtem Pastell die Sehnsucht nach Harmonie zwischen Mensch und Natur aus.

Bisweilen waren in der Person eines Kaisers künstlerische Meisterschaft und Mäzenatentum glücklich vereint. Über Jahrhunderte verkörperte der in Kalligraphie und Flötenspiel virtuose Kaiser Hui-tsung, dessen Regierungszeit in die Jahre von 1101 bis 1125 fällt, das Vorbild des kunstsinnigen Herrschers und Förderers der Künste. Dreihundert Jahre zuvor hatte Kaiser Ming-huang (er regierte von 704 bis 752) das Lob der "dreifachen Meisterschaft" angestimmt, das erst jene zu wahren Künstlern ernannte, die in Dichtung, Malerei und Kalligraphie gleichermaßen brillierten. Und unter den chinesischen Dynasten waren nicht wenige, die dieses Prädikat für sich selbst in Anspruch nehmen konnten.

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