diepresse.com, 18.07.2003 Quelle: Print-Presse
 
     
 

Die Odyssee der Kaiserschätze
Das Berliner Alte Museum zeigt Objekte aus dem Nationalen Palastmuseum Taipeh, die eigentlich von China reklamiert werden.
VON ANDREAS SCHWARZ

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Das Berliner Alte Museum zeigt Objekte aus dem Nationalen Palastmuseum Taipeh. | © ap

Vorbeugen ist besser als heilen. Das Credo des heutigen Gesundheitswe sens ist keine Erfindung von Stadt räten und Ministern, sondern medizinischer Hausverstand seit jeher - auch in China, das dem Westen in praktischer Lebensweisheit oft voraus ist. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts etwa schrieb der mongolischstämmige Husihui, Leibarzt des chinesischen Kaisers und für Speisehygiene und Medikamente am Hof zuständig, "angemessene und grundlegende Regeln der Ernährung des Kaisers", die den Vorrang der Vorbeugung vor der Behandlung betonten.

Der Ming-Kaiser Jingtai veröffentlichte das Werk im Jahr 1456. Heute ist es Teil der Sammlung des Palastmuseums in Taipeh (Taiwan), von der ein kleiner, aber eindrucksvoller Teil nun in Berlin zu sehen ist: Im Alten Museum wurde Donnerstag abend die Ausstellung "Schätze der Himmelssöhne - Die kaiserliche Sammlung aus dem Nationalen Palastmuseum Taipeh" eröffnet.

Was die Himmelssöhne, so nannte man in China die Kaiser, so im Laufe der Jahrhunderte gesammelt und mitunter selbst an Kunst hervorgebracht haben, ist imposant. Rund 400 Objekte aus dem Palastmuseum - Gemälde, Tuschebilder auf Seide, Textilarbeiten, Kalligrafien, Keramik, rituelle Bronzen, Jadefiguren und Schnitzereien, zum Teil mehrere tausend Jahre alt - sind bis 12. Oktober an der Spree und danach bis Februar 2004 in Bonn zu sehen.

Vorbeugen ist besser als heilen war freilich auch das Motto der Ausstellungsvorbereitung, die mehr als zehn Jahre lang dauerte. Der Grund: Taiwan fürchtete, dass die Volksrepublik China per einstweiliger Verfügung die Beschlagnahmung der Objekte erwirken würde, um wenigstens einen Bruchteil des Schatzes zurück zu erhalten, der China aus Pekinger Sicht zusteht. Denn dass die wertvollsten Schätze des Pekinger Kaiserpalastes im Besitz der "Abtrünnigen" in Taipeh sind, ist der Volksrepublik ein wahrscheinlich noch größerer Dorn im Auge, als die Tatsache, dass Sun Yat-sens Nachfahren unbeirrt behaupten, auf Taiwan das eigentliche China zu repräsentieren.

Die Sammlung der chinesischen Dynastien hat fürwahr eine Odyssee hinter sich. Nachdem Pu Yi, der letzte Kaiser, 1924 die Verbotene Stadt in Peking verlassen hatte, wurde ein Jahr später das dortige Palastmuseum gegründet und der Öffentlichkeit ein Blick ins Allerheiligste, vor allem auf die Kunstschätze der vergangenen Kaiser-Dynastien, eröffnet. Als keine sechs Jahre danach Japan die Mandschurei überfiel, beschlossen die Museumskuratoren die Evakuierung: Die wertvollsten Stücke wurden in 19.557 Kisten verstaut, auf Schubkarren zum Bahnhof und nach Nanking verbracht, wo sie einen Monat provisorisch verstaut wurden, ehe die Reise weiter nach Schanghai und später wieder zurück nach Nanking ging.

Nach Ausbruch des Krieges zwischen Japan und China 1937 wurde der Schatz an unterschiedlichen Orten in China versteckt und erst 1947 weitgehend wieder zusammengeführt und in Nanking ausgestellt. Die Ruhe war kurz: Mit dem Sieg der kommunistischen Revolution über die Republik China entschloss sich die Kuomintang-Regierung, den Schatz auf ihrer Flucht nach Taiwan mitzunehmen, wo er zunächst in Höhlen gelagert wurde. Erst 1965 wurde am Rande Taipehs das Palastmuseum eröffnet, in dem seither die mehr als 600.000 Kunstwerke aus Peking ihre neue Heimat fanden.

Ein Paragraf im deutschen Gesetz zur Rückgabe von Kulturgütern (1998), wonach eingeführte Kulturgüter unberührt von anderen Besitzansprüchen in jedem Fall an den Leihgeber zurückgeführt werden müssen, hat Taiwan letztlich davon überzeugt, einen kleinen Teil der Palastausstellung nun auch auf Tournee nach Deutschland gehen zu lassen. Dennoch ist in Taiwan in den letzten Wochen neuerlich die Sorge laut geworden, China könnte die Ausstellung in Berlin dazu benützen, der Schätze wieder habhaft zu werden - zumal Deutschland diplomatische Beziehungen mit Peking, nicht aber mit Taipeh unterhält. Dass die Frau des taiwanesischen Präsidenten Chen Shui-bian an der Eröffnung in Berlin teilnahm, macht die Sache noch brisanter: Peking reagiert gereizt auf halb-offizielle Besuche taiwanesischer Vertreter in Staaten, mit denen China Beziehungen unterhält.

Dennoch hofft man in Taipeh, dass die Vorbeugung, was die Heimkehr der Schätze 2004 betrifft, eine Heilung erübrigt - die bei Verlust der Ausstellung nicht möglich wäre.

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