Morgenpost Berlin, Donnerstag, 17. Juli 2003
 
     
 
Und sie prägten die Welt
"Schätze der Himmelssöhne": Heute Abend wird im Alten Museum die Schau mit Meisterwerken aus Taipeh eröffnet
Von Berthold Seewald

Zehn Jahre dauerten die Vorbereitungen für diese Ausstellung der Superlative: 400 Objekte aus den Kaiserlichen Sammlungen, die Chinas Herrscher über 2000 Jahre hinweg zusammentrugen. Heute gehören sie dem Palastmuseum in der taiwanesischen Hauptstadt

Vor einem Monat kam der chinesische Martial-Arts-Film "Hero" in die deutschen Kinos. In dem hochgerühmten Werk geht es um den ersten Kaiser, vier verwirrte Attentäter und ein neues Schriftzeichen für "Schwert". Fantastisch ist die Welt der Kung-Fu-Filme, möchte man meinen. Das Gegenteil ist der Fall.

Wie stark "Hero" die Essenz chinesischer Traditionen spiegelt, zeigt die Ausstellung "Schätze der Himmelssöhne", die heute Abend im Alten Museum feierlich eröffnet wird. Sie präsentiert 400 Meisterwerke der Kaiserlichen Sammlung aus dem Nationalen Palastmuseum in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh: Bronzen, Jadeschnitzereien, Porzellane, Siegel, Gemälde und - Kalligraphie, zusammengetragen, seit Qin Shihuangdi die sieben rivalisierenden Staaten in einem Reich vereinigte und 221 v. Chr. den Titel des Ersten Kaisers annahm. Durch die Vereinheitlichung von Schrift, Maßen und Gewichten machte er den Chinesen bewusst, dass sie hinfort in einem Reich leben, in einer Zivilisation wirken würden. Diesem Ziel diente auch die Kaiserliche Sammlung. Sie wurde zu einem faszinierenden Zeugnis dieser Sinnstiftung.

Denn von Anfang an haben Chinas Herrscher die Schätze ihrer Länder gesammelt. Zunächst sicherlich als Tribute. Doch schon in den Dynastien, die sich vor der Reichsgründung gegenseitig zerfleischten, war es guter Brauch, die Gaben der Untertanen nicht umgehend für den eigenen Luxus oder in neue Armeen zu stecken, sondern zu bewahren, als Symbole irdischer Größe und himmlischen Wohlwollens.

Und je mehr sich die Ansicht durchsetzte, die Kaiser herrschten mit einem Mandat des Himmels, suchten die "Himmelssöhne", dies durch die Größe ihrer Sammlung zu dokumentieren. So wurde über mehr als 2000 Jahre hinweg der größte, aus einer Zivilisation stammende Kunstschatz aller Zeiten zusammengetragen.

Kaiser aller Dynastien haben der Sammlung buchstäblich ihren Stempel aufgedrückt. Denn sie versahen Stück für Stück mit ihrem Siegel. Und da es nach Konfuzius (551-479) als Ausweis herrschaftlicher Tugend galt, die drei Künste Dichten, Kalligraphie und Malen zu beherrschen, legten die Kaiser auf die ästhetische Qualität ihrer Stücke besonderen Wert.

Als Taizong, zweiter Kaiser der Tang-Dynastie, 626 den Thron bestieg, war die kulturelle Konsolidierung die Leitlinie seiner Politik. Dazu gehörte auch die Pflege der Kalligraphie. Bei seinem Regierungsantritt hatte er gerade 300 Rollen vorgefunden, bei seinem Tod zählte die Sammlung allein von dem berühmten Meister Wang Xizhi aus dem vierten Jahrhundert fast 2290 Stücke. Damit aber machte Taizong auch Kulturpolitik. Indem er die Schriftkunst Wang Xizhis bevorzugte und die anderer Meister vernachlässigte, prägte er die Kalligraphie. Denn der Stil, an dem sich die Künstler des Kaiserhofs schulten, war Vorbild für die chinesische Oikumene.

In völlig neue Dimensionen trieb der Mandschu-Kaiser Qianlong (1736-1795) sein Staatswesen und seine Sammlung. Durch seine Eroberungen wuchs die Bevölkerung von 143 auf 295 Millionen Menschen, mit 11,5 Millionen Quadratkilometern beherrschte er eine größere Fläche als seine kommunistischen Nachfolger der Gegenwart. Der Katalog der Bilder und Kalligraphien seiner Sammlung umfasste mehr als 21 000 Seiten. Seine Sammelwut war derart, dass es bald keine altmeisterlichen Landschaftsbilder mehr im Lande gab, die Künstlern als Vorbilder hätten dienen können. Die Folge war, dass sich viele Maler von traditionellen Sujets, vor allem der Landschaftsmalerei, ab- und der Blumen- und Vogelmalerei zuwandten.

Als die Revolutionäre 1911 den letzten Kaiser absetzten, plünderte der zunächst die Schätze, um seine Hofhaltung in der Verbotenen Stadt in Peking zu finanzieren. Doch recht bald wurde den neuen Herren bewusst, dass da der kulturelle Urmeter der Nation verschleudert wurde. Deshalb gründeten sie auf der Grundlage der Kaiserlichen Sammlung ein modernes Museum. Als 1933 der japanische Angriff drohte, wurden die wertvollsten Stücke in 2000 Kisten verpackt. Der Rest blieb in Peking. Guomindang-Führer Tschiang Kaischek brachte die Kisten zuerst auf den Rückzügen vor den Japanern, dann vor den Kommunisten in Sicherheit und schließlich nach Taiwan, seiner letzten Basis.

Als klar wurde, dass die Wiedervereinigung der Kaiserlichen Sammlung im nationalchinesischen Sinn nicht mehr möglich sei, wurde 1965 in Taipeh das Palastmuseum eröffnet. Damit hat die faktische Teilung Chinas auch ihre museale Entsprechung gefunden. Und jede Sammlung bezeugt das "Mandat des Himmels" für die Herrschenden in Peking und Taipeh.

http://morgenpost.berlin1.de/archiv2003/030717/feuilleton/story617078.html

 
     
 
Hintergrund: Das Gesetz

Die Idee, Schätze des Palastmuseums in Taipeh, der mit 620000 Objekten größten Sammlung chinesischer Kunst, in Deutschland zu zeigen, geht auf das Jahr 1993 zurück. Der Vorstoß der Kunst- und Ausstellungshalle (KAH) der Bundesrepublik in Bonn stieß in Taiwan durchaus auf Gegenliebe. Der Vertragsabschluss wurde allerdings von der Bedingung abhängig gemacht, die Rückgabe der Leihgaben im Falle eines Einspruchs von dritter Seite - konkret: von der Volksrepublik China - zu gewährleisten. Das Ergebnis war das Kulturgüterschutzgesetz, das der Bundestag 1998 verabschiedete. Nachdem eine Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum als Berliner Forum scheiterte, konnten die Staatlichen Museen als Partner gewonnen werden. Seitdem laufen die Vorbereitungen für die Ausstellung, deren Versicherungswert, durch eine Bundesbürgschaft gedeckt, auf rund 200 Millionen Euro geschätzt wird. Nach der Ausstellung in Berlin übernimmt die KAH in Bonn (11. 11. 2003 - 15. 2. 2004) die Schau. Aus konservatorischen Gründen werden dafür sämtliche Objekte auf Papier ausgetauscht, sodass eine weitgehend neue Ausstellung entsteht. Gleichsam als Gegengabe wird im kommenden Jahr eine Ausstellung mit Werken deutscher Romantiker in Taipeh gezeigt.

http://morgenpost.berlin1.de/archiv2003/030717/feuilleton/story617079.html