Berliner Morgenpost, 23. März 2006 
            Schlußverkauf bei Mao 
            Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert Chinas zeitgenössische Foto-   und Video-Kunst 
            Von Kirstin Wenk 
            
            [image] Die Wieder-Erfindung des Körperlichen: Li Weis verspieltes Werk   "Mirroring: On Coal Hill" 
            Foto: Haus der Kulturen der Welt 
            
            Mit dem Stolz einer jahrtausendealten Kulturnation, zwischen Kommunismus   und Moderne, wächst in China eine neue Generation heran. Eine   Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt thematisiert die Umbrüche und   Widersprüche. 
            
            Das Gemälde "Nächtliche Feiern des Han Xizai" gilt als Meisterwerk   traditioneller chinesischer Malerei. Es zeigt die Vergnügungen des hohen   Beamten Han, der verzweifelt versucht hatte, die ausgehende   Tang-Dynastie zu reformieren. Frustriert flüchtete er sich in   ausschweifende Partys. Der Künstler Wang Qingsong stellt die berühmten   Szenen auf einer Fotografie nach: mit leicht bekleideten Damen,   Coca-Cola-Dosen auf den Tischen und Handys am Ohr von heute in China   bekannten Künstlern. Parallelen zwischen der Rolle der machtlosen   Intellektuellen im Kaiserreich und in der Volksrepublik dürfen gezogen   werden. Gleichzeitig ist die Fotografie ein kritisches Porträt der   städtischen Mittelschicht. Spielerisch übersetzt der Künstler das   kulturelle Erbe seines Landes in die Gegenwart. 
            
            Zitate aus der traditionellen chinesischen Kunst finden sich in der   Ausstellung "China - Zwischen Vergangenheit und Zukunft" im Haus der   Kulturen der Welt reichlich. Die Präsentation neuer Foto- und Videokunst   ist Teil des Festivals über Chinas Vergangenheit, kulturelles Gedächtnis   und Geschichtspolitik. Vier Themenbereiche sollen die wichtigsten   Strömungen moderner Kunst in China wiedergeben: Geschichte und   Gedächtnis, Selbst-Darstellung, Wieder-Erfinden des Körpers, Menschen   und Räume. Bewußt konzentriere sich die Schau auf Fotografie und Video,   als "schnelle Techniken, die mit ihrem dokumentarischen Charakter das   moderne Leben authentisch widerspiegeln", sagt Co-Kurator Wu Hung. Mit   Christopher Phillips vom International Center of Photography in New York   hat er die Ausstellung konzipiert. Sie stellt eine solide Einführung in   die moderne chinesische Kunstszene mit ihren wichtigsten Vertretern dar.   Mitunter dominiert jedoch das Folkloristische über dem Künstlerischen.   Es ist eine Show für "an China interessierte Ausländer", räumt Wu Hung ein. 
            
            Thematisch konsistent orientiert sich die Auswahl der Werke an Chinas   Tradition und Vergangenheit beziehungsweise am heutigen Umgang damit.   Eine Auseinandersetzung mit der von Krieg und Gewalt, Revolutionen und   radikalen Umbrüchen geprägten Geschichte findet weniger statt, dafür   mehr mit der Gesellschaft, die auf diesem kulturellen und historischen   Boden entsteht. Dabei bleiben die Künstler meist spielerisch   experimentell, etwa im Umgang mit Schriftzeichen, dem wichtigsten   Vehikel zur Schaffung chinesischer Identität, oder in den als Rätsel   angelegten Bildern über die chinesischen Erfindungen oder in den Photos   eines Nackten beim Spaziergang über die Chinesische Mauer. 
            
            Auch in den Bereichen "Menschen und Räume" sowie "Selbstdarstellung"   beschäftigen sich die Künstler zumindest implizit mit der Vergangenheit,   etwa wenn Hong Hao Fotos nackter Badender in einem antiken Druck   plaziert. Zhang Dali zeigt zum Abbruch bestimmte Häuser, durch deren   löchrige Wände die goldenen Dächer der Verbotenen Stadt schimmern. Cui   Xiuwen läßt uns in den Spiegel einer Damentoilette in einer Disko   blicken. Der Sozialismus, an dem die Führung festhält, ist offenbar auch   schon Vergangenheit, wenn sich Mädchen in rosafarbenem Trägerhemdchen   selbstverliebt im Spiegel betrachten und anschließend von der   Toilettenfrau ein Handtuch gereicht bekommen. 
            
            Sozialismus und die Ein-Parteien-Diktatur sind dennoch Themen, die auf   der Ausstellung angenehmerweise nur selten eine allzu vordergründige   Rolle spielen. Denn die moderne chinesische Kunstszene hat Mao Tse-tung   als plakatives Symbol politischer Unterdrückung im vergangenen Jahrzehnt   arg überstrapaziert - mit dem Kalkül, daß ausländische Kunstliebhaber   sich gern mit Bildern der ach so unterdrückten chinesischen Künstler   schmücken. Die Ausstellung beschäftigt sich eher mit den Auswirkungen   der Ideologie auf das Individuum und die Gesellschaft. Song Dong etwa   legt sich mitten im Winter auf den nächtlichen Boden vor das Tor des   Himmlischen Friedens in Peking, haucht eine Platte an und beobachtet,   wie sein Atem darauf gefriert. Die einzelne Platte hat sich verändert,   doch es gibt so unendlich viele Platten, daß der monströse Platz sein   Gesicht behält. 
            
            Ganz ohne Mao kommt eine Ausstellung über Chinas Vergangenheit jedoch   nicht aus. Xing Danwen zeigt seine hochschwangere Freundin nackt vor   Wandphotographien des Staatsgründers. Kurator Wu Hung bemüht sich aber   zu versichern, daß es sich hier nicht um eine Inszenierung handelt. Die   Dame auf dem Bild sei 1966 geboren, sagt er, als die Kulturrevolution   begann. Sie sammelt tatsächlich Mao-Bilder an der Wand über ihrem Bett,   dort wo jetzt das neue Leben, die Zukunft, beginnt. 
            
            http://morgenpost.berlin1.de/content/2006/03/23/feuilleton/818485.html 
           
          with kind regards,
          Matthias Arnold (Art-Eastasia list)
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