April 1, 2006:

[achtung! kunst] Berlin: Schlußverkauf bei Mao
 
     
 

Berliner Morgenpost, 23. März 2006
Schlußverkauf bei Mao
Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert Chinas zeitgenössische Foto- und Video-Kunst
Von Kirstin Wenk

[image] Die Wieder-Erfindung des Körperlichen: Li Weis verspieltes Werk "Mirroring: On Coal Hill"
Foto: Haus der Kulturen der Welt

Mit dem Stolz einer jahrtausendealten Kulturnation, zwischen Kommunismus und Moderne, wächst in China eine neue Generation heran. Eine Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt thematisiert die Umbrüche und Widersprüche.

Das Gemälde "Nächtliche Feiern des Han Xizai" gilt als Meisterwerk traditioneller chinesischer Malerei. Es zeigt die Vergnügungen des hohen Beamten Han, der verzweifelt versucht hatte, die ausgehende Tang-Dynastie zu reformieren. Frustriert flüchtete er sich in ausschweifende Partys. Der Künstler Wang Qingsong stellt die berühmten Szenen auf einer Fotografie nach: mit leicht bekleideten Damen, Coca-Cola-Dosen auf den Tischen und Handys am Ohr von heute in China bekannten Künstlern. Parallelen zwischen der Rolle der machtlosen Intellektuellen im Kaiserreich und in der Volksrepublik dürfen gezogen werden. Gleichzeitig ist die Fotografie ein kritisches Porträt der städtischen Mittelschicht. Spielerisch übersetzt der Künstler das kulturelle Erbe seines Landes in die Gegenwart.

Zitate aus der traditionellen chinesischen Kunst finden sich in der Ausstellung "China - Zwischen Vergangenheit und Zukunft" im Haus der Kulturen der Welt reichlich. Die Präsentation neuer Foto- und Videokunst ist Teil des Festivals über Chinas Vergangenheit, kulturelles Gedächtnis und Geschichtspolitik. Vier Themenbereiche sollen die wichtigsten Strömungen moderner Kunst in China wiedergeben: Geschichte und Gedächtnis, Selbst-Darstellung, Wieder-Erfinden des Körpers, Menschen und Räume. Bewußt konzentriere sich die Schau auf Fotografie und Video, als "schnelle Techniken, die mit ihrem dokumentarischen Charakter das moderne Leben authentisch widerspiegeln", sagt Co-Kurator Wu Hung. Mit Christopher Phillips vom International Center of Photography in New York hat er die Ausstellung konzipiert. Sie stellt eine solide Einführung in die moderne chinesische Kunstszene mit ihren wichtigsten Vertretern dar. Mitunter dominiert jedoch das Folkloristische über dem Künstlerischen. Es ist eine Show für "an China interessierte Ausländer", räumt Wu Hung ein.

Thematisch konsistent orientiert sich die Auswahl der Werke an Chinas Tradition und Vergangenheit beziehungsweise am heutigen Umgang damit. Eine Auseinandersetzung mit der von Krieg und Gewalt, Revolutionen und radikalen Umbrüchen geprägten Geschichte findet weniger statt, dafür mehr mit der Gesellschaft, die auf diesem kulturellen und historischen Boden entsteht. Dabei bleiben die Künstler meist spielerisch experimentell, etwa im Umgang mit Schriftzeichen, dem wichtigsten Vehikel zur Schaffung chinesischer Identität, oder in den als Rätsel angelegten Bildern über die chinesischen Erfindungen oder in den Photos eines Nackten beim Spaziergang über die Chinesische Mauer.

Auch in den Bereichen "Menschen und Räume" sowie "Selbstdarstellung" beschäftigen sich die Künstler zumindest implizit mit der Vergangenheit, etwa wenn Hong Hao Fotos nackter Badender in einem antiken Druck plaziert. Zhang Dali zeigt zum Abbruch bestimmte Häuser, durch deren löchrige Wände die goldenen Dächer der Verbotenen Stadt schimmern. Cui Xiuwen läßt uns in den Spiegel einer Damentoilette in einer Disko blicken. Der Sozialismus, an dem die Führung festhält, ist offenbar auch schon Vergangenheit, wenn sich Mädchen in rosafarbenem Trägerhemdchen selbstverliebt im Spiegel betrachten und anschließend von der Toilettenfrau ein Handtuch gereicht bekommen.

Sozialismus und die Ein-Parteien-Diktatur sind dennoch Themen, die auf der Ausstellung angenehmerweise nur selten eine allzu vordergründige Rolle spielen. Denn die moderne chinesische Kunstszene hat Mao Tse-tung als plakatives Symbol politischer Unterdrückung im vergangenen Jahrzehnt arg überstrapaziert - mit dem Kalkül, daß ausländische Kunstliebhaber sich gern mit Bildern der ach so unterdrückten chinesischen Künstler schmücken. Die Ausstellung beschäftigt sich eher mit den Auswirkungen der Ideologie auf das Individuum und die Gesellschaft. Song Dong etwa legt sich mitten im Winter auf den nächtlichen Boden vor das Tor des Himmlischen Friedens in Peking, haucht eine Platte an und beobachtet, wie sein Atem darauf gefriert. Die einzelne Platte hat sich verändert, doch es gibt so unendlich viele Platten, daß der monströse Platz sein Gesicht behält.

Ganz ohne Mao kommt eine Ausstellung über Chinas Vergangenheit jedoch nicht aus. Xing Danwen zeigt seine hochschwangere Freundin nackt vor Wandphotographien des Staatsgründers. Kurator Wu Hung bemüht sich aber zu versichern, daß es sich hier nicht um eine Inszenierung handelt. Die Dame auf dem Bild sei 1966 geboren, sagt er, als die Kulturrevolution begann. Sie sammelt tatsächlich Mao-Bilder an der Wand über ihrem Bett, dort wo jetzt das neue Leben, die Zukunft, beginnt.

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with kind regards,

Matthias Arnold (Art-Eastasia list)

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