August 07, 2005:

[achtung! kunst] Cui Jian
 
     
 


SPIEGEL ONLINE - 15. Juli 2005
Chinas Popikone Cui Jian
Kämpfen gegen Macht und Mammon
Von Carola Padtberg, Peking

Punk, Jazz, kommunistische Volkslieder: Der Musiker Cui Jian wirbelte Stile und Sounds durcheinander und revolutionierte damit die Popkultur Chinas. Doch auch wenn man ihn seit 20 Jahren als Ikone verehrt, hat er immer noch zu kämpfen: nicht mehr gegen die Regierung, sondern gegen den Kommerz.
[image] Popstar Cui auf dem Tiananmen Platz, 1989: Kultur- und Klampfenkampf; www.cuijian.com

Viele würden den Titel als Ehrung empfinden, Cui Jian, der bekannteste Rockmusiker Chinas, reagiert nur genervt. Mehr noch: Wer Cui Jian darauf anspricht, wie man sich als Pate der chinesischen Rockmusik fühlt, hat es sich mit seinem Gesprächspartner schnell verscherzt.

Seit 20 Jahren nennen die Leute Cui Jian den Vater des Rock. Er war der erste Musiker des Landes, der mit den konventionellen Formen chinesischer Popmusik brach und westliche Rockmusik etablierte. Mittlerweile ist er ein Monument zu Lebzeiten, gepriesen und verehrt, verglichen mit Bob Dylan, Bruce Springsteen, John Lennon. Eine Symbolfigur für den Liberalisierungsprozess von 1,3 Milliarden Menschen. Doch das ist ihm zu wenig.

"Pate der Rockmusik zu sein ist einfach langweilig, und Menschen, die mich so nennen, sind faul", sagt Cui Jian. "Sie haben keine Lust, sich wirklich mit meiner Musik zu beschäftigen. Sie wissen nicht, wer ich heute bin", sagt der 43-Jährige.

Die Fron der Innovation

Auch heute ist Cui Jian noch Rockmusiker. Aber er hat auch überall dort seine Finger im Spiel, wo etwas Neues entsteht. An einem Freitagabend sieht man ihn im Pekinger Botschafts- und Partyviertel Sanlitun. Hier gibt er sich ein Stelldichein mit dem jungen Elektronik-Frickler Wang Lei zu einer Jam Session im Club Yu Gong Yi Shan, was soviel heißt wie "Der alte Mann, der den Berg bewegt" und an eine chinesische Fabel über Beharrlichkeit erinnert.

Der Club ist ein Provisorium, eine niedrige Baracke ohne Klimaanlage, der Barkeeper trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck: "Anarchy is order. Government is chaos." Begleitet von Videoinstallationen lassen Wang und Cui elektronisch verfremdeten Reggae aus ihren Computern erklingen, im Hintergrund groovt sporadisch eine Gitarre, schließlich greift Cui Jian zur Trompete und spielt live ein paar Bläserloops ein.

Die Kunst ist da, das chinesische Publikum muss sich noch finden. Solche für chinesische Verhältnisse extrem avantgardistischen Veranstaltungen ziehen Videokünstler und junge Mädchen an, die sich nach japanischer Mode im bunten Stilmix kleiden. Vor allem aber sind westliche Ausländer zu Gast. "Der Veranstalter ist Franzose", entschuldigt Cui das fehlende Interesse seiner Landsmänner. Doch er weiß, dass das chinesische Publikum einfach noch nicht reif ist für seine Experimente.
[image] Rock-Ikone Cui (2005): "Sie wissen nicht, wer ich bin"

Cui Jian wird in China immer noch als die Ikone verehrt, die sich in den achtziger Jahren ihren Ruf erarbeitete. Als Zwanzigjähriger entwickelte er neue Genres, indem er chinesischen Pop mit westlichem Punk und Jazz kreuzte und kommunistische Volkslieder parodierte. 1989 sang er mit roter Augenbinde auf dem Platz des Himmlischen Friedens, und die protestierenden Studenten erkoren seinen Titel "Nothing to my name" zu ihrer Hymne. Vier Tage später schlug das chinesische Militär die friedlichen Demonstrationen am 4. Juni 1989 blutig nieder. Cui Jian musste aus Peking flüchten, durfte aber nach einem Jahr wieder in die Stadt zurückkehren.

Moneten und Macht

"Heute habe ich zwei Feinde in diesem Land", sagt Cui Jian, "die Macht und das Geld." Die Macht der Regierung sorgt dafür, dass Cui bis heute keine Konzerte in Peking oder Shanghai geben darf und jeden seiner Texte der Zensur vorlegen muss. Immerhin: An seinem letzten Album hat die Behörde kein Wort geändert; Cui hat Unterstützung in der Partei gefunden. "Viele meiner Fans aus den Achtzigern haben heute einflussreiche Positionen", sagt Cui, "und vielleicht beginnt die Regierung zu verstehen, wie Künstler arbeiten."

Das politische Korsett beginnt sich zu lösen. Das heißt aber nicht, dass Politik nicht mehr auf der Tagesordnung stünde. "Rock ist in China eine hochpolitische Angelegenheit", sagt Cui. Sex, Drugs, Rock'n'Roll ist in China noch kein Schlachtruf. In China dreht sich Rock um Freiheit und Kreativität, um die eigene Stimme und den Kampf gegen das System - mit Texten voller Wut und Hoffnung.

Leider interessiert das nur wenige. Die hohe Politik ist nicht mehr Cuis größter Widersacher. Viel schlimmer empfindet der Musiker die Macht des Geldes. Geld garantiert den wirtschaftlichen Aufschwung - und korrumpiert die Jugend. Die musikalische Konsequenz ist Fließbandmusik, schnulzig und systemkonform, gesungen von Pop-Sternchen aus Hong Kong oder Taiwan. Cui Jian verachtet die Seichtigkeit der neuen Generation. "Die jungen Leute sind unkritisch", moniert er. "Statt Musik mit Seele hören sie taiwanesischen Pop und Karaoke, und verlieren sich in der Versuchung des Wohlstandes. Sie vergessen ihre Fragen."

Noch ein anderes Problem macht Künstlern wie Cui Jian in China zu schaffen: das boomende Geschäft mit Raubkopien. Das Ausmaß von MP3-Downloads ist gering, doch der Handel mit billigen CD-Kopien floriert seit Jahren. Weil die Regierung nur eine geringe Auswahl an ausländischer Musik zum Import freigibt, ist ein Großteil westlicher Musik nur illegal als Raubkopie erhältlich. Findige Händler importieren außerdem echte CDs über Hong Kong nach China und etikettieren sie um. Was mit ausländischer Musik funktioniert, das macht auch vor den Produktionen Cui Jians nicht halt. "Ich verliere mehr Geld als ich mit meinen Produktionen verdiene", beschwert er sich.

Farbe bekennen

Sein letztes Album "Show You Colour" erschien vor drei Monaten und verkauft sich nicht besonders. In Peking kursieren Gerüchte, Cui Jian hätte in Shanghai nur zwei Platten verkauft, und auch wenn dies nur üble Nachrede ist, weiß Cui, dass "Show You Colour" nicht das ist, was seine treuen Fans erwartet haben.
[image] Cui mit Kollege Wang Lei beim Konzert in Peking: Pop als politische Angelegenheit; Carola Padtberg

Cui verwendet nämlich neuerdings Elemente aus Rap und Hip Hop - auf Mandarin, versteht sich. Keine leichte Aufgabe, denn er findet Hochchinesisch nicht melodiös genug für Sprechgesang und lässt in seinen Raps deshalb alle chinesischen Dialekte miteinander verschmelzen. Wie Trommelwirbel soll die Sprache wirken, wie ein lautes Instrument, auf das heftig eingedroschen wird: "Die chinesische Sprache klingt wie das schlichte, saitenlose Tomtom eines Schlagzeugs - langweilig. Englisch hingegen ist wie die Snaredrum: satt und vielseitig."

Der Name des Albums ist Programm: Auf "Show You Colour" stehen drei Farben für drei Musikstile und Lebenseinstellungen. "Gelb repräsentiert Pop und Genussmenschen, für die Essen und Reichtum an erster Stelle stehen. Rot bedeutet Rock und alles, was vom Herzen kommt." Niemals sieht man Cui Jian ohne einen roten Stern auf einem seiner Kleidungsstücke. Blau schließlich sind für ihn elektronische Musik und kopfgesteuerte Menschen. Auf dem Album sind Songs aller drei Kategorien zu finden. "Ich will zeigen, dass alle Genres gut sein können, in ihrer eigenen Art und Weise", erklärt Cui. "Das Problem ist nur: die meisten Leute hören keine gute Musik. Sogar wenn sie ihr begegnen, hören sie nicht hin."

http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,365244,00.html

 

 

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Matthias Arnold
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