May 31, 2005:

[achtung! kunst] *Sammlung Sigg* Bern: Mahjiong - Interview - Zeitgenössische chinesische Kunst
 
     
 


emagazine.credit-suisse, 30.05.2005
Andreas Schiendorfer
Redaktion emagazine
Die chinesische Kunst hat auch eine Gegenwart

30.05.2005 Unter dem Titel "Mahjong" zeigt das Kunstmuseum Bern vom 13. Juni bis zum 16. Oktober chinesische Gegenwartskunst aus der Sammlung Sigg. Die Ausstellung wird von der Credit Suisse unterstützt.
[image] Sammler Uli Sigg vor seinem Werk des Fang Lijun.

Das chinesische Kunstschaffen zeichnet sich seit mehr als 2000 Jahren durch erlesenen Geschmack, handwerkliches Können und kostbare Materialien aus. Selbst die kommunistische Regierung hat den Werken der Kaiserzeit stets hohe Wertschätzung entgegengebracht. "Eine bewunderungswürdige alte Kultur wurde in der langen Periode der feudalen chinesischen Gesellschaft geschaffen", erklärte Mao Zedong bereits 1940. "Das Studium der Geschichte dieser alten Kultur, die Zurückweisung ihres feudalen Unrats und die Aneignung ihres demokratischen Gehalts – das sind die notwendigen Voraussetzungen für die Entwicklung unseres nationalen Selbstvertrauens."

Gerätschaften für die Seele
Kenntnis dieser Kultur erhält die Nachwelt vor allem durch die "Gerätschaften für die Seele" (ming-ch'i), Grabbeigaben also. Noch immer schlummern riesige Schätze in Chinas Erde, denn ausgegraben wird – richtigerweise – nur so viel wie auch restauriert und konserviert werden kann. Sogar von der einmaligen Tonkriegerarmee der imperialen Totenstadt des Qin Shi Huangdi ist erst ein Fünftel freigelegt. Gegen diese Hinwendung zur alten Kultur kann ernstlich nichts eingewendet werden. Fatalerweise hat sie aber bis in die allerjüngste Zeit den Blick der chinesischen Öffentlichkeit für die moderne Kunst – die 1979 mit Deng Xiaopings "Politik der offenen Türen" ihren Anfang nahm – verstellt, umso mehr als diese zwangsläufig auch Kritik an der aktuellen gesellschaftlichen Situation beinhaltet. Nun jedoch gewinnt sie mehr und mehr an Beachtung, dies vor allem als Reflex auf den rasanten Siegeszug, den die bildenden Künstler genauso wie die Filmschaffenden im Ausland erfahren. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel, a Book from the Sky, waren diese am westlichen Kulturfirmament erschienen – Ai Weiwei, Xu Bing, Fang Lijun, Wang Jin und andere mehr. Namen, welche sich der Laie kaum merken kann, die aber in der Fachwelt einen vorzüglichen Ruf erlangt haben. Den endgültigen Durchbruch schafften die chinesischen Künstler, eingeladen vom kürzlich verstorbenen Harald Szeemann, an der Biennale 1999 in Venedig.

Uli Sigg leistete Pionierdienste
Dass Szeemann und andere einflussreiche Kuratoren sich überhaupt derart intensiv der zeitgenössischen Kunst Chinas zuwandten, hat letztlich einen trifftigen Grund: Uli Sigg. Uli Sigg, von 1995 bis 1998 Schweizer Botschafter in Beijing, leistete zweimal unschätzbare Pionierdienste. 1980 organisierte er als Mitarbeiter von Schindler das erste Joint Venture eines ausländischen Unternehmens in China, und nach seinem Rückzug aus der Welt der Diplomatie konfrontierte er die westliche Welt – und damit indirekt auch die chinesische Welt – mit den besten Werken der zeitgenössischen chinesischen Kunst. 1998 rief Sigg den Contemporary Chinese Art Award ins Leben und besetzte die Jury mit Szeemann, Alanna Heiss, Direktorin des New Yorker Kunstzentrums PS1, sowie dem in Paris lebenden Chinesen Hou Hanru. Obwohl von Haus aus Journalist (und heute Vizepräsident von Ringier) ist Uli Sigg aber nicht in erster Linie Vermittler oder gar Verkäufer, sondern Kunstfreund und -sammler, der auch Gotthard Graubner, Gerhard Richter und Rachel Whiteread schätzt.

In China sammelte er – mit der für einen Wirtschaftsführer beziehungsweise Diplomaten nötigen Diskretion – zunächst Künstler, die seinem breiten, aber doch westlich orientierten Interessensspektrum entsprachen. Allmählich realisierte Uli Sigg aber, dass niemand ausser ihm systematisch sammelte, weder ein Chinese noch ein anderer Ausländer. So erweiterte er, gleichermassen die kulturelle Verantwortung spürend wie die Sammler-Marktlücke witternd, Mitte der Neunzigerjahre seinen Fokus und versuchte fortan, losgelöst von seinem persönlichen Geschmack, einen repräsentativen Querschnitt durch die zeitgenössische Kunst Chinas zusammenzustellen. Ein Glücksfall, denn mit jedem Jahr wird es schwieriger, Werke vor allem des Übergangs vom sozialistischen Realismus zur zeitgenössischen Kunst aufzuspüren. Diese Arbeiten der "Subversiven", die gerade Szeemann so sehr schätzte, sind verschwunden, oft aus Desinteresse zerstört.

1000 Künstler getroffen
Uli Sigg hat im Laufe der Jahre über 1000 Künstler persönlich getroffen und besitzt rund 1200 bedeutende Werke von 180 Künstlern, meist grossformatige Ölgemälde oder Fotografien, aber auch Plastiken, Video- und Installationskunst. Folgerichtig befindet sich das bedeutendste Museum zeitgenössischer chinesischer Kunst nicht in China selbst und auch nicht in New York oder Paris, sondern auf Schloss Mauensee im Luzernischen, dem – verständlicherweise nicht öffentlich zugänglichen – Wohnsitz von Rita und Uli Sigg. Die Collection Sigg enthält einerseits Werke, die als Weltkunst jedermann erschliessbar sind, anderseits solche, für deren Verständnis ein chinesisches Kontextwissen unabdingbar ist. Zu den letzteren gehören "Blutverwandtschaft" von Zhang Xiaogang sowie "Im Jahr 2000" von Yue Minjun. Das eine zeigt den Sohn als Mittelpunkt der Familie und thematisiert gleichzeitig die chinesische Ein-Kind-Politik. Im andern werden 25 grinsende Figuren dargestellt, Selbstporträts des Künstlers, die eindeutig Bezug auf die Tonkriegerarmee nehmen. Kontextwissen ist auch von Vorteil beim "Gelehrtenstein", den Zhan Wang in Chrom nachgebildet hat, und auch bei den kaum wahrnehmbaren, aus dem kontemplativen Nebel auftauchenden Landschaften des Qiu Shi Hua, die eine jahrhundertealte Tradition in neuer Form reflektieren.

Zugang zur chinesischen Mentalität
Zeitgenössische Kunst wird zum Schlüssel zum Reich der Mitte. Sie vermittelt einen wichtigen Zugang zur chinesischen Mentalität und vertieft das vielerorts eher oberflächliche Verständnis für die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Besonderheiten Chinas.

Bild oben: Zhang Xiaogang, "Blutverwandtschaft". Der Sohn steht im Mittelpunkt der chinesischen Familie, umso mehr im Rahmen der Ein-Kind-Politik.

Bild ganz oben: Yue Minjun, "Im Jahr 2000", Die 25 grinsenden Figuren sind Selbstbildnissedes Künstlers und nehmen Bezug auf die Tonkriegerarmee von Xian.

Mahjong
Ort: Kunstmuseum Bern (Holderbank)
Datum: 13.Juni bis 16.Oktober 2005
Kuratoren: Bernhard Fibicher (Direktor Kunsthalle Bern), Ai Weiwei (Künstler, Beijing)
Rahmenprogramm: Montag, 5.September, 19.00 Uhr, Podiumsdiskussion "China – Aufbruch in Wirtschaft und Kunst" mit Uli Sigg, ehemaliger Schweizer Botschafter in China, Hans-Ulrich Dörig, Vice Chairman Credit Suisse, und Samuel Herzog, Redaktion NZZ

http://emagazine.credit-suisse.com/article/index2.cfm?fuseaction=OpenArticlePrint&aoid=95833&lang=DE


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WAMS, 22. Mai 2005
"Politiker sind tabu"
Ein Sammler über Kunst aus China

Uli Sigg ist Schweizer Botschafter a. D. in China und Vizepräsident des Züricher Rignier-Verlages. Er hat die weltweit größte Sammlung zeitgenössischer chinesischer Kunst, die etwa 1200 Arbeiten von rund 170 Künstlern umfaßt. Im Gespräch mit "Welt am Sonntag" berichtet Uli Sigg über die chinesische Kunst nach der politischen Öffnung des Landes von 1979.


Welt am Sonntag: Sie kamen Ende der 70er nach China. Wie war Ihr erster Eindruck von der zeitgenössischen chinesischen Kunst?

Sigg: Zunächst schien mir die Kunst nicht besonders interessant zu sein. Die Arbeiten der Künstler waren stark vom Sozialistischen Realismus geprägt, dem einzig erlaubten Stil in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren. 1979 mit Deng Xiaopings Reformen und seiner "Politik der offenen Tür" öffnete sich sachte ein Freiraum - auch für die Künstler. Deren Malstil wurde zunächst stark von westlichen Vorbildern beeinflußt, was für das westliche Auge nicht spannend war. Erst gegen Ende der 80er Jahre haben die Künstler zu einer eigenen Sprache gefunden.

Wie haben Sie Kontakt zu den Künstlern bekommen?

Sigg: Zunächst mußte ich mich etwas zurückhalten, denn das China von 1979/ 80 war nicht das China von heute. Es wäre sehr gefährlich gewesen, wenn ich die Künstler aufgesucht hätte. Also habe ich mich zunächst mit Fotomaterial und Gesprächen mit Insidern begnügt. Es dauerte eine Weile, bis man sich freier bewegen konnte. Dann ging es über Bezugspersonen, die die Szene kannten. Die Künstler selbst haben mir wieder andere Künstler empfohlen, so daß ein Netzwerk entstand. Heute kommen die Künstler zu mir.

War die Kunst subversiv?

Sigg: Die experimentelle Kunst stand damals nicht im Einklang mit der Politik der Regierung. Es ging, wie üblich in der zeitgenössischen Kunst, primär um Kritik. Die Künstler konnten ohne Bevormundung produzieren, aber nicht ausstellen.

Hat sich die Situation verändert?

Sigg: Sie ist viel offener. Aber die Künstler können immer noch nicht alles ausstellen.

Was ist tabu?

Sigg: An einen lebenden Politiker wagt sich keiner. Auch Sex wird nicht gern gesehen, und extreme Körperkunst ist auch verboten. Aber diese Arbeiten könnte man auch bei uns nicht zeigen.

Auch heute ist diese Kunst in großen internationalen Sammlungen kaum zu finden.

Sigg: Das liegt oftmals an der Unkenntnis der Kuratoren oder den selbstgewählten engen Sammlungskonzepten.

Gibt es so etwas wie das "Chinesische" in der zeitgenössischen Kunst?

Sigg: Das ist die Frage nach der "Chineseness". Auch die chinesische Gesellschaft stellt sich zur Zeit genau diese Frage. Sie ist aber schwer zu beantworten. Wenn man dies für die Kunst grob definieren sollte, könnte man sagen: Sie ist überwiegend figurativ, weil abstrakte Kunst ideologisch lange nicht erlaubt war, selten selbstreferentiell und nicht analytisch-forschend. Und sie ist immer faszinierend.


Vom 12. Juni bis 16. April ist die Sammlung Sigg im Kunstmuseum Bern und in der Gemeinde Holderbank zu sehen

Das Gespräch führte Christiane Hoffmans

http://www.wams.de/data/2005/05/22/721637.html


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WAMS, 22. Mai 2005
Das Korsett löst sich
Die zeitgenössische Kunst aus China beschränkte sich lange auf Propagandaästhetik plus Dollarzeichen. Nun nehmen die staatlichen Kontrollen ab, die Künstler wagen Experimente, und die Sammler haben ein neues Ziel

Im verwitterten Backsteinbau werkeln Arbeiter einer Schlosserei an rostigen Maschinen. Ein Leitungsrohr läßt zischend Dampf ab. Daneben, hinter der Glasfront eines Szenecafés, schlürft Pekings Avantgarde am Latte Macchiato. Bunte Schilder weisen den Weg in Dutzende Galerien. Das Fabrikareal 798 im hauptstädtischen Außenbezirk Dashanzi ist das Mekka der zeitgenössischen Kunst Chinas.

Hunderte Künstler haben sich in den vergangenen zwei Jahren mit ihren Studios und Wohnungen in den verlassenen Hüllen kaputtgewirtschafteter Staatsbetriebe eingenistet. Huang Rui wähnt sich hier gar am Scheitelpunkt einer Zeitenwende. "798, das ist die Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft", sagt der Künstler und Mitbegründer des Kreativen-Dorados. Die Fabrikhallen im Bauhaus-Stil wurden einst mit sozialistischer Bruderhilfe der DDR errichtet. Im Veranstaltungssaal "798 Space" prangen noch die alten Parolen in großen roten Schriftzeichen an der Decke: "Mao Tse-tung lebe ewig." Nur schuften darunter heute keine Arbeiterkolonnen mehr. Jetzt hängen da Bilder oder hüpfen nackte Performance-Künstler. Huang Rui, Cheforganisator des "Dashanzi International Art Festival" (DIAF), das in diesem Mai zum zweiten Mal stattfand, hofft unbescheiden, "daß Chinas Gegenwartskunst von diesem Fleck Land aus ihre Reise in die Zukunft antritt".

Aus ihrem internationalen Nischendasein löst sich Chinas aktuelle Kunst bereits. Alexander Ochs steht vor den weißgetünchten Wänden seines Kunstzentrums White Space in Dashanzi, faltet bedächtig die Hände und erzählt, daß er bei der Art Cologne 2004 gleich am ersten Tag sämtliche Exponate seines Messestandes mit zeitgenössischer Kunst aus der Volksrepublik verkauft hat. "Das hat es noch nie gegeben", freut sich der Galerist und Kurator. Erleichterung schwingt mit. Denn langer Atem war gefragt. Seit Anfang der Neunziger reist er regelmäßig ins Reich der Mitte, knüpft Künstlerkontakte und stellt Chinesen in seiner Berliner Galerie aus. Gekauft haben meist nur spezialisierte Chinakenner. Mittlerweile jedoch "wächst das Interesse der großen internationalen Sammler", beobachtet Ochs. Das ist auch dem generellen Aufschwung des Landes zu danken.

"Die Bedeutung Chinas in der Welt wächst und damit automatisch auch das Interesse an chinesischer Kunst", sagt Henry Howard-Sneyd, Geschäftsführer des Auktionshauses Sotheby's für China und Südostasien. Auch andere europäische Galerien haben längst den chinesischen Markt für sich entdeckt. So haben die L.A. Gallerie aus Frankfurt und Chinese contemporary aus London ein Standbein in Peking.

Einer der wichtigsten Promoter zeitgenössischer chinesischer Kunst ist der Schweizer Botschafter a. D. Uli Sigg (siehe Interview). Er brachte europäische und amerikanische Museumsleute ins Land und öffnete damit den Blick des westlichen Marktes für die chinesische Kunst. In den 90er Jahren gab es dann bahnbrechende Ausstellungen in Oxford, Bonn, New York, und als der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann 1999 in seiner Schau auf der Biennale in Venedig aktuellste chinesische Positionen zeigte, war das der Startschuß für ein neues Marktsegment.

Nach Beginn der Öffnungspolitik Chinas Ende der siebziger Jahre mußten die Kreativen sich erst freischwimmen. Der Sozialistische Realismus paddelte oft weiter mit. Das gesellschaftliche Zwitterstadium zwischen proletarischer Vergangenheit und Aufbruch in den Kapitalismus spiegelten Chinas Künstler zum Beispiel gern, indem sie Dollarzeichen und Sozialismushelden zusammen auf die Leinwand malten. Bei einigen - vornehmlich im Westen - kam das durchaus gut an, beinhaltete es doch den Ruch der Systemkritik. Kritiker sahen im stetigen Rückgriff auf kantige Propagandabilder allerdings nur die Unfähigkeit, mal was gänzlich Neues zu probieren.

Das Korsett löst sich. Es geht zunehmend individuell zu. Fang Lijun malt Bilder mit Gesichtern, die immer entrückt und seelisch zerrissen wirken, auch wenn sie mal froh, mal ängstlich blicken. "Jeder Mensch ist verschieden", sagt Fang. Er male nur, was er selber fühle. Chinesische Performancekünstler lecken Asphalt oder führen einen Chinakohl an der Hundeleine spazieren. Der angesehene Maler Yang Shaobin hat Bilder der chinesischen TV-Nachrichten von einem US-Bombenangriff auf den Irak in solch düster-rostigem Farbton großflächig nachgemalt, daß sich eine eindrucksvolle Botschaft aus Feuer, Blut und Tod herausdestilliert.

"Es geht doch heutzutage nicht mehr um chinesische Kunst", betont Tian Yuan. Die junge Künstlerin hat in Berlin studiert und leitet jetzt das White Space. "Wir alle leben unter den Bedingungen des Globalismus. Zwangsläufig müssen wir auch universelle Ausdrucksformen suchen." Kulturelle Charakteristika spielten eine Rolle, dürften aber den Blick nicht verengen, so Tian.

Langsam beginnen sich auch die Chinesen selber für die moderne Kunst ihrer Heimat zu interessieren. Als die Gegenwartskünstler in den achtziger Jahren loslegten, wurde fast alles von Ausländern gekauft. Ihre Landsleute waren beim Marsch in den Materialismus erst mal mit dem Erwerb von Waschmaschinen und Fernsehern beschäftigt. Daß die städtische Mittelschicht heute bereits beim Wohnungs- und Autokauf angelangt ist, verheißt Gutes für das Luxusgut Kunst. Galeristen und Auktionsprofis attestieren, daß reiche Chinesen zunehmend bereit sind, für Kunst Geld auszugeben.

"Meist sind es Geschäftsleute", sagt Anthony Lim, Asienchef des Auktionshauses Christie's. Manche seien zu Kunstliebhabern gereift. Andere investierten schlicht, weil sie sich eine hohe Rendite erhoffen. Im Vergleich mit den häufig horrenden Preisen, die für zeitgenössische europäische oder amerikanische Kunst gezahlt werden, ist die chinesische Kunst noch günstig. Aber auch hier gibt es bereits Superstars mit den dazugehörigen Superpreisen. Bei seinen Frühjahrsauktionen in Hongkong erzielte Sotheby's den Rekordumsatz von 634 Millionen Hongkong-Dollar - etwa 64,4 Millionen Euro, über ein Drittel mehr als im April 2004. Die Auktionen werden jedoch klar von klassischen Kunstformen dominiert, wie Keramiken und Bronzestatuen. "Die Preise für traditionelle chinesische Gemälde sind im vergangenen Jahr dramatisch gestiegen", sagt Sotheby's-Manager Howard-Sneyd. Zum Beispiel die Naturmalerei von Zhang Daqian (1899-1983), der vielen als "Picasso Chinas" gilt. Der Absatzschub ist auch Folge einer Rückkaufwelle, um chinesische Kulturgüter heim ins Reich zu holen. Ein Teil der in Hongkong versteigerten Exponate wurde einst von ausländischen Kolonialmächten - auch durch Plünderungen - aus dem Land geschafft. Chinas Tycoons und ebenso die reichen Auslands-Chinesen aus asiatischen Nachbarländern scheinen sich vorgenommen haben, dies zu bereinigen - vielleicht auch weil es Pluspunkte bei den Machthabern in Peking verspricht.

Den spektakulären Anfang hatte im Jahr 2000 das Poly Art Museum Pekings gemacht, das auf einer Sotheby's-Auktion in Hongkong für vier Millionen Dollar drei einst aus China entwendete antike Bronzestatuen kaufte. Aber auch die Nachfrage nach Gegenwartswerken steigt. Erstmals veranstaltete Sotheby's in Hongkong im Herbst eine eigene Verkaufssession für moderne chinesische Kunst, der Erlös betrug knapp 23 Millionen Hongkong-Dollar - etwa 2,3 Millionen Euro. Die Nachfolgeveranstaltung in diesem April brachte mit 41 Millionen Hongkong-Dollar (etwa 4,2 Millionen Euro) bereits fast das Doppelte ein.

Seit vergangenen Dezember gelten in China vereinfachte Regeln zur Gründung ausländischer Auktionshäuser, weswegen die Branche über den bevorstehenden Markteintritt der globalen Größen in Peking oder Shanghai spekulierte. Sotheby's und Christie's weisen derartige Pläne zurück. "Hongkong wird für viele Jahre der wichtigste Standort des chinesischen Kunsthandels bleiben. Vor allem für ausländische Auktionshäuser", sagt Lim von Christie's. Auch Sotheby's setzt auf die ehemalige Kronkolonie. "Die Stadt liegt im Herzen Asiens, ist exzellent mit der Welt verknüpft." Und die bürokratischen Hürden, die zum Im- und Export von Kunst genommen werden müssen, sind nicht zu hoch - eine Grundvoraussetzung für gute Geschäfte. Ganz anders sieht das in China aus. Dort dürfte von Ausländern nur die Kunst versteigert werden, die nach Gründung der Volksrepublik 1949 geschaffen wurde. Für jedes Exponat drohen zudem zähe Verhandlungen mit der Kulturbehörde über die Auktionsgenehmigung. Und die Ein- und Ausfuhr von Werken bleibt höchst kompliziert. Dennoch gibt es bereits eine florierende Kunstauktionsbranche im Land. Lokale chinesische Auktionshäuser wie Guardian und Henhai haben sich etabliert. Sie besitzen gute Kontakte zur Kulturbürokratie und "machen einen guten Job", attestiert Lim von Christie's. Um Chinas Kunstkäufer nach Hongkong zu locken, setzen die Ausländer vorerst auf Präsentationsshows in Shanghai oder Peking.

Da die neuen Sammler sich meist erst selber in die moderne Kunst hineinfinden müssen, "richten sie sich stark nach Empfehlungen der Künstler, denn die sind schließlich die Avantgarde", sagt Experte Ochs. Solange sie nicht in offener Weise die Führung attackieren, dürfen Chinas Künstler mittlerweile machen, was sie wollen. Zwar kommen die Beamten des Staatsschutzes immer noch regelmäßig in Dashanzi vorbei und sehen nach dem Rechten. Sie seien aber recht freundlich, sagen die Bewohner. Die Fesseln der Diktatur lösen sich. Dafür droht nun vom Kapitalismus Ungemach. Pekings Kunstdistrikt ist bedroht, weil der Eigner des Areals viel Geld mit dem Verkauf der Fläche machen könnte. Land ist viel wert im Peking der hochschießenden Hochhaussiedlungen. Huang Rui und seine Mitstreiter konnten jedoch bereits mehrere Stadtpolitiker auf ihre Seite bringen. "Und mit dem Kunstfestival schaffen wir ein weiteres Exempel, das den kulturellen Wert von 798 verdeutlicht", sagt Huang. Trotz der Probleme: Die Zukunft des Kunstmarktes gehört den Chinesen. Da sind sich alle einig.

http://www.wams.de/data/2005/05/22/721637.html


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with kind regards,

Matthias Arnold
(Art-Eastasia list)


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